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Shanties beim flandrischen König


Am Ende einer Tour durch Augsburg besuche ich in der Regel noch die Buchhandlung Pustet im historischen Bader-Haus, schon allein weil es dort eine so spannende Bavaria-Ecke gibt. Wenn dann noch immer Zeit übrig ist, steige ich noch ein Stockwerk tiefer in den „König von Flandern“. Zwar erst 1988 eröffnet, aber sich auf uralte Traditionen berufend, wirkt der verwinkelte Keller mit insgesamt 250 Sitzplätzen recht gemütlich. Das bayrisch-schwäbische Speisenangebot lasse ich eher an mir vorüberziehen, weil meine Schwiegermutter alle Gerichte besser kocht und eh schon immer mit dem Essen auf mich wartet. Probiert habe ich dennoch ein Mal die Schäufele und ein anderes Mal den Schweinsbraten: einfach, bodenständig, ordentlich. Sicher, en gros zubereitet, möglicherweise unter Einsatz von Soßenpulver. Aber für die bescheidenen Preise ist unmöglich mehr einzufordern. Zu allen Gerichten wird Treberbrot gereicht. Es wird auch zum Mitnehmen angeboten und das sollte man auch tun. Es ist ein Gedicht. Wer weiß, dass Treber nicht nur jugendliche Obdachlose bezeichnet, sondern auch die Reste des Malzes der Bierherstellung, ist auf der richtigen Spur.

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Im „König von Flandern“ wird gebraut: die „Drei-Heller-Biere“, unfiltriert, hell oder dunkel, sowie der Doppelbock Alligator. Biere, die auch einen ausgesprochener Weintrinker untreu werden lassen.

Wenn ich in den „König von Flandern“ gerate, ist eigenartiger Weise immer „Happy Hour“. Das hat den Vorteil, dass das Bier dann sagenhaft preiswert ist. Es hat aber auch den Nachteil, dass um mich herum immer Gruppen von Gymnasiasten oder Erstsemestern sitzen, die sehr laut und sehr dumm sind. Seit ich erfahren habe, es sei jetzt angesagt sich fremd zu schämen, tue ich das dann immer ein wenig. Ich hoffe inbrünstig, dass ich in dem Alter nicht so war. Die Kellnerinnen gehen mit allen Gästen gleichermaßen freundlich, zuvorkommend und professionell um. Vermutlich wirke ich auf sie, ebenso wie auf die mir peinlichen Jugendlichen, wie ein verschrobener, alter Mann. Einzelne schämen sich womöglich für mich.

Einmal hatte ich hier ein bemerkenswertes Erlebnis: Während die Partnerin und ich uns sommernachmittags an einem erfrischenden Bier labten, ertönte plötzlich und unerwartet lauter Gesang. Allein, er wollte sogar nicht in dieses Ambiente passen. Es waren nicht die Biermösel Blosn, nicht Ringswandl und auch nicht Hans Söllner, um mal ein paar der angenehmeren Vertreter bayrischer Volksmusik zu erwähnen. Es war der Shanty-Chor der Nürnberger Wasserschutzpolizei. „Seemann, deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Sterne, über Rio und Shanghai, über Bali und Hawaii….“ ertönte es. Ich muss hier offenbaren, dass ich eine sehr sentimentale Einstellung zur christlichen Seefahrt habe. Es ist nur einer Verkettung unglücklicher Umstände zu verdanken, dass ich meinen jugendlichen Plan, Schule, Schule sein zu lassen und Matrose zu werden, nicht in die Tat umsetzen konnte. Aber diese Geschichte erzähle ich vielleicht ein andermal. Jedenfalls stimmte ich in den Gesang fröhlich mit ein. Das war ja mal ein Crossover: ein ehemaliger Berliner Anarchopunk singt zusammen mit einem fränkischen Polizistenchor in einer bayrisch-schwäbischen Kneipe norddeutsche Seemannsschlager.

Der Partnerin war es peinlich. Sie verbot mir den Gesang. Sie, die Augsburgerin, glaubt nämlich, dass ich mich als in Niedersachsen sozialisierter Wahlberliner in Bayern ohne ihre Verhaltensmaßregeln nicht zurecht finden kann. Es ist immer das gleiche, wenn wir da unten sind. Meiner Schwiegermutter gegenüber sollte ich nicht erwähnen, dass ich glaube, mal gelesen zu haben, dass es bis in die 50er Jahre in Augsburg eine Hundemetzgerei gab. Meinen Verdacht, dass auf dem Stadtmarkt abgezogene Katzen als Kaninchen verkauft werden, sollte ich für mich behalten. Ihrem Ex sollte ich verschweigen, dass wir ihn intern nur Karlsson nennen, weil er auf dem Hochzeitsfoto, das er uns schickte, aussieht wie Karlsson vom Dach. Im Hofbräuhaus sollte ich keinen Wein bestellen. Niemals darf ich in dem lustigen universal-süddeutschen Idiom reden, dass ich selbst kreiert habe…

Natürlich kann ich dann gar nicht anders, wenn man mich so maßregelt. Ich muss es einfach tun. Als mich ihr Ex wegen der Karlssongeschichte unglücklich anschaute, konnte ich wenigstens erwidern, dass sie mich schon gewarnt hätte, er sei nicht so humorvoll und fände das bestimmt nicht witzig.

Adresse: König von Flandern, Karolinenstraße 12, 86150 Augsburg | http://www.koenigvonflandern.de/startseite.html


11 Antworten to “Shanties beim flandrischen König”


  1. 9. Juni 2009 um 15:59

    Ich kann sie gut verstehen, die Partnerin: es gibt wenig, das so viel Anlass zum Fremdschämen bietet wie Preußen, die meinen bayrischen Dialekt nachahmen zu können. Höchstens noch die, die sich danach so ob der eigenen Lustigkeit gar nicht mehr beruhigen können. Übrigens, es heißt DAS Schäufele, nicht die…

  2. 2 stroheim
    9. Juni 2009 um 18:23

    Von einer Landsmännin – oder heißt es Landsfrau? – von Karl Valentin, Ludwig Thoma und Gerhard Polt hätte ich schon etwas mehr Humor in eigener Sache erwartet. Ich habe übrigens zwei Schäufele gegessen…

  3. 10. Juni 2009 um 14:16

    Oho, die für ihren subtilen Witz bekannten Niedersachsen meinen sich zutrauen zu können anderer Leute Humorigkeit zu beurteilen? Das Problem, lieber Stroheim, liegt ja nun genau darin, dass völlig unabhängig vom Standpunkt – und/oder des Humorgrades – des Betrachters diese ungeschickten Nachahmungsversuche des jeweiligen regionalen Idioms einfach nicht lustig sind. Das mit den zwei Schäufele schon eher….

  4. 10. Juni 2009 um 19:26

    :))) Spät gefunden, aber mein Beitrag des Tages.
    Allein schon, daß sie in Nürnberg Shanties singen …

    Toll.

    (Und ich bin in meinen zwei bayerischen Jahren streng hochdeutsch geblieben. Die Bäckerin wußte am Ende netterweise, was ein »Kaffeestückchen« ist.)

  5. 16. Juni 2009 um 16:34

    Mensch, Abgründe tun sich auf. Wenn du mal wieder mitsingen willst, empfehle ich den Schiffahrts-Chor Berlin. Der tritt gelegentlich schon mal bei Kurt-Kurt auf /ganz unten/ und sucht auch ganz bestimmt noch ein paar männliche Sängerinnen.

    • 6 stroheim
      18. Juni 2009 um 18:06

      Ehrlich gesagt: Ich kann garnicht singen! Man hat mich seinerzeit schon aus dem Schulchor geworfen. Zu recht. Aber ich reagiere seitdem etwas trotzig, wenn Jemand mir das Singen verbieten will. Jedenfalls werde ich darauf achten, wann dieser Schiffahrts-Chor bei Kurt-Kurt auftritt. Dann werde ich da sein. Danke für den Tipp.

  6. 27. Juni 2009 um 23:28

    Wie schön, hier ist der richtige Ort für das Outing der Anonymen Shanty Freunde Berlin.
    Aufgewachsen mit Freddy Quinn, Lolita und Hans Albers bekenne ich, auch heute noch der Meinung zu sein, dass „Beim ersten Mal da tut´s noch weh“ ein fantastisches Lied ist.

    Veranstaltungstipp: Am 29. und 30 August 2009 findet das Berliner Hafenfest erstmals im Humboldthafen statt (bislang und besser aufgehoben immer im alten Hafen am Märkischen Ufer).

    Klicke, um auf Programm_Hafenfest_2009.pdf zuzugreifen

    • 28. Juni 2009 um 07:11

      Danke für den Tipp! Da muss ich hin. Vorgemerkt! Übrigens: Die Schiffe des Historischen Hafens lagen früher mal im Humboldhafen, bevor sie zur Mühlendammschleuse umgezogen sind. Vielleicht ganz gut, das Fest dort zu veranstalten, um die Aufmerksamkeit auf den Humboldthafen und die dort geplanten Baumaßnahmen zu lenken (siehe auch http://www.moabitonline.de/610).

  7. 9 stroheim
    29. Juni 2009 um 19:53

    Ich danke auch, eichi. Ich werde da sein und – mitsingen! Danke auch Dir, vilmos, für den aktuellen Link zum Humboldhafen.

  8. 9. August 2019 um 15:00

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