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27
Nov
08

Cabuwazi Kinder- und Jugendzirkus


Fahrendes Volk war immer eine Unterbrechung der Langweile des niedersächsischen Dorfes, in dem ich aufgewachsen bin. Einerlei, ob es die Wohnwagen der Schausteller waren, die mit ihren Buden und Karussells zu den Frühjahrs- und Herbstmärkten anreisten, armselige Wanderzirkusse, die doch irgendwie an Salto Mortale aus dem Fernsehen erinnerten oder einfach Gruppen von „Zigeunern“, wie sie damals alle nannten, als Kind fühlte ich mich vorbehaltlos zu ihnen hingezogen, suchte ihre Nähe und verbrachte meine Zeit auf ihren Stellplätzen. Ich war glücklich, wenn ich hier mal einen Wassereimer schleppen durfte oder dort mal Sägespäne in die Manege karren. Meine ersten Küsse, ach eher unschuldige Küsschen, tauschte ich mit einem rothaarigen Sintizza-Mädchen namens Liane aus, deren Gruppe mit einer Pferdeshow durch die Lande zog. Die Harmlosigkeit verhinderte natürlich nicht den Hurrikan der im Inneren des Drittklässlers zu wüten begann. Es war klar, dass ich meine Familie verlassen und mich Lianes Leuten anschließen würde. Als ich dann doch bleiben musste, fühlte ich mich ähnlich wie Alexandra am Ende ihres Liedes Zigeunerjunge.

Selten besuche ich heute noch Zirkusse und mein Lieblingszirkus reist auch gar nicht herum, obwohl der Name anderes vermuten lässt. „Cabuwazi“ leitet sich ab von „chaotisch bunter Wanderzirkus“.

Im Circus Cabuwazi können sich Kinder und Jugendliche in rund 30 Zirkusdisziplinen ausprobieren, von klassischen wie Jonglage, Clownerie, Akrobatik und Einradfahren über sportliche wie Trampolinspringen, Inlineskating und Breakdance bis zur modernen Zirkusperformance. Dabei entwickeln sie dann nicht nur Körpergefühl und Selbstvertrauen, sondern auch Verantwortungsbewusstsein, Teamgeist und Fairness. In mittlerweile fünf Zelten an vier Standorten sind über 650 Kinder aktiv. Es gibt Programme für Schulklassen, natürlich zahlreiche Vorführungen. Aber man kann auch einfach vorbei kommen und mitmachen. Auf der Website steht, was wann wo unterrichtet wird. Für alle zwischen neun und 18 Jahren ist das Training kostenlos! Was nicht bedeutet, dass die, die es sich leisten können, nicht spenden sollten. Am besten reichlich, denn Cabuwazi kann nur durch zahlreiche Unterstützer und Förderer überleben.

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Ich habe Cabuwazi zum ersten Mal erlebt, als die Klasse meiner jetzt zwanzigjährigen Tochter nach einer Projektwoche Training ihre neu erlernten Fähigkeiten vorführte. Damals vor fast zehn Jahren war ich beeindruckt. Zirkus funktioniert nur, wenn man als Team agiert und sich jeder auf jeden verlassen kann. Es klappte. Alle machten mit, auch die Dicken, auch die Ungelenken, auch die, die sonst eher abseits standen. Niemand wurde ausgelacht. Die Grenzen gezogen von Herkunft, Bildung oder Geschlecht schienen aufgehoben.

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Angefangen hat alles 1992 in einem Kreuzberger Hinterhof. Da traf sich Sonntagnachmittags eine Gruppe von Kindern zum Einradfahren. Schon bald drehte das „Kreuzberger Einradchaos“ seine Runden auf Schul- und Straßenfesten. Der Zulauf war so groß, dass Cabuwazi-Gründer Karl Köckenberger mit der Elterninitiative „Kinder- und Jugendzirkus“ das Programm um einige Disziplinen erweiterte und 1994 einen Verein gründete. Mit Hilfe der Bezirksämter und Spenden eröffnete Cabuwazi im April 1994 das erste Zelt in Treptow und wenige Wochen später das zweite in Kreuzberg. 1996 kam mit Altglienicke der dritte und 1997 mit Zirkus Springling in Marzahn der vierte Standort dazu. Heute ist Cabuwazi Europas größter Kinder- und Jugendzirkus. Jährlich sind im Nachmittagstraining, in Schulprojektwochen und Workshops über 3000 Kinder und Jugendliche dabei. Und um es noch einmal in den Worten des Zirkus selbst zu sagen: “Und immer noch können alle mitmachen, egal ob arm oder reich, dick oder dünn, kariert oder gepunktet.“

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Seit anderthalb Jahren ist auch die neunjährige Tochter dabei. Sie steppt. Ihre vielleicht gerade doppelt so alte Trainerin hat zusammen mit ihrer Gruppe eine Choreografie entwickelt. Damit sind sie Teil des Weihnachtsprogramms „Der ZAURIKUTUSEINTRADIAKROSTEBOLISCHE Wunschpunsch“ an den vier Adventssonntagen. Die Tochter ist bereits jetzt sehr aufgeregt. Ich auch.

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