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Ausgekurbelt: Charlottenburger Traditionskino wird zum Biosupermarkt


Die Leuchtbuchstaben, die bis vor kurzem den Meyerinckplatz allabendlich in rotes Licht tauchten, sind abgeflext, Popcornmaschinen, Kinositze, Lampen und alles andere ist verramscht. Die Kurbel gibt es nicht mehr. Noch existiert die Website des Kinos, aber sie gibt nicht mehr viel her:

Im leeren Schaukasten spiegelt sich die Ankündigung, dass hier nach einem Entwurf des Architekten Christopher von Bothmer der „Umbau von 3 Kinosälen in einem (sic!) Biomarkt und 6 Wohnungen“ erfolgen soll. Jemand hat einen eindeutigen Kommentar hinterlassen.

Gegen die Schließung des Kinos hat sich die Bürgerinitiative „Rettet die Kurbel“ formiert. 7500 Unterschriften wurden gesammelt und fast 4000 Unterstützer wurden auf facebook gewonnen. Die Initiative bestreitet, dass das Kino unrentabel sei. Der Betreiber – und Gebäudeeigentümer – habe notwendige Investitionen unterlassen. Bei der Umwidmung gehe es ihm um Profitmaximierung. Unter den teiweise prominenten Unterstützern finden sich unter anderem Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der Kunstsammler Peter Raue, Wim Wenders, Rosa von Praunheim ebenso wie eine ganze Riege von Schauspielern wie Otto Sander, Angelika Domröse oder Oliver Kalkhofe. Das Medienboard Berlin-Brandenburg schaltet sich ein, das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf fordert den Eigentümer auf, die Schließung auszusetzen und ein „Moratorium“ bis zum Sommer 2012 zu akzeptieren um bis dahin eine tragfähige Lösung zu finden. Angeblich gäbe es mehrere Interessenten, die das Kino weiter betreiben wollten.

Der Biosupermarkt Alnatura will in dem Gebäude ab dem Frühjahr 2013 Müsli und Dinkelstangen verkaufen. Aber man hat offenbar kalte Füße bekommen: „Sofern eine Möglichkeit besteht, den Kinobetrieb weiter zu führen, werden wir dem nicht im Wege stehen,“ verkündet eine Unternehmenssprecherin.

Der Eigentümer Symcha Karolinski denkt allerdings nicht daran, den Vertrag mit Alnatura aufzulösen. Er fühlt sich zu Unrecht kritisiert. Er habe das Kino 2005 übernommen, weil es keiner wollte, in Eigenregie betrieben und zwei Mal vor der Pleite gerettet. Seine Kritiker hätten lieber öfter ins Kino gehen sollen. Neben 16 großen Multiplexkinos hätte die Kurbel keine Chance mehr gehabt. Die drei Interessenten könnten „ nicht die notwendige Bonität aufweisen“. Gegen das Moratorium stünden die Verträge mit den Baufirmen.

Karolinski plant, das marode Gebäude für mehrere Millionen umfassend zu sanieren. Er spricht von einem sechsstelligen Verlust, den er in den vergangenen fünf Jahren mit dem 600-Sitze-Kino gemacht hat und er fühlt sich von der Initiative genötigt und hat Anzeige erstattet.

Die Räume beherbergen auch schon ein Ladengeschäft, bevor der Architekt Karl Schienemann sie zum Kino umbaut. Unter heftigen Anfeindungen des Inhabers der benachbarten Minerva-Lichtspiele Heinrich Hadekel, eröffnen die jüdischen Betreiber Heinz Grabley und Hanna Koenke 1934 die Kurbel. Bereits 1935 erfolgt der Umbau zum ersten „echten“ Tonfilmkino mit einer speziellen akustischen Dämmung. Im Rahmen dieser Modernisierung werden das markante umlaufende Vordach und viele Lichtakzente geschaffen. Die Betreiber wollen vorwiegend ausgewählte internationale Produktionen in der Originalfassung ohne Untertitel und Synchronisation zeigen. Zwei Jahre später übernimmt Walter Jonigkeit, der später zur Berliner Kinolegende werden soll, die Kurbel. Über die Umstände der Übernahme und das weitere Schicksal der jüdischen Kinogründer konnte ich nichts in Erfahrung bringen.

Jonigkeit gelingt es, das Kino bis in den Krieg hinein weiter zu betreiben. Als es nach Bombenabwürfen Feuer fängt, drückt ihm die unterbesetzte Feuerwehr eine Spritze in die Hand, die er abwechselnd mit einem Freund bedient und so das Kino rettet. Erst gegen Ende des Krieges wird die Kurbel zum Munitionslager zweckentfremdet. Nach der Befreiung lässt Jonigkeit die dort vorgefundenen Panzerfäuste zerlegen. Die ausgebauten Feuersteine sind begehrte Tauschware, mit deren Hilfe das Kino instand gesetzt werden kann.

Schon am 27. Mai 1945 nimmt die Kurbel nach dem Marmorhaus als zweites Berliner Kino seinen Betrieb wieder auf. Jonigkeit hat von einem russischen Unteroffizier, der in einem Pankower Tabakladen ein Filmlager verwaltet, den russischen Film „Um sechs Uhr nach Kriegsende“ ergattert. Der Film ist unübersetzt, aber die Zuschauer kommen.

Von Dezember 1953 bis zum April 1956 läuft in der Kurbel „Vom Winde verweht“. In 2395 Vorstellungen sehen rund 6 000 000 Zuschauer den Film. Die Platzanweiserinnen müssen bei täglich drei Vorstellungen halbjährlich in ein anderes Kino versetzt werden. Sie können die Filmdialoge nicht mehr hören und sprechen fast nur noch in Filmzitaten. Der Straßenbahnschaffner – ja, bis 1967 gab es auch in Westberlin Straßenbahnen – ruft die Haltestelle angeblich so aus: „Ku`damm, Ecke Giesebrechtstraße, Vom Winde verweht – aussteigen“. Jonigkeit macht ein Nebengeschäft mit selbstgemachten Programmheften. Abends sammelt er die abgerissenen Kinokarten auf und verteilt sie in der S-Bahn. „Die Kamera – das Haus des guten Films“ steht drauf. Als bei ihm später die „Die Brücke am Kwai“ läuft, besticht er die Tanzkapellen der Stadt, dass sie recht häufig den River-Kwai-Marsch spielen, und ihm so das Publikum ins Haus zu bringen.

Kassenraum und Foyer erfahren in den 50ern durch Verglasung der Eingangskolonnaden eine großzügige Erweiterung. Im Oktober 1957 kommt es zum Skandal als Jonigkeit das Kino an die FDJ vermietet, die zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution den sowjetischen Film „Peter der Große“ zeigen will. Die Polizei befürchtet eine Störung der öffentlichen Ordnung und verbietet die Veranstaltung.

Die rapide sinkenden Besucherzahlen Anfang der 70er Jahre zwingen Jonigkeit zur Aufgabe der Kurbel. Nach einem kurzen Intermezzo als Pornokino eröffnet das Haus 1974 neu als Off-Kino. Wechselnde Betreiber versuchen sich an Programm- und Arthaus-Kino, ab 1995 werden nur noch Filme in der englischen Originalfassung gezeigt. Nachdem 2001 das Cinestar am Potsdamer Platz beginnt OV-Filme anzubieten, zeigt die Kurbel trotz Besucher-Protesten wieder synchronisierte Fassungen. 2003 geht der letzte Betreiber, die Ufa Theater AG, in die Insolvenz und schließt deutschlandweit 33 Kinos – darunter auch die Kurbel. Anfang 2004 versucht sich ein neuer Betreiber mit einem „One Dollar“-Konzept. Man zeigt für 2,99 Euro Filme, die gerade in den großen Häusern ausgelaufen sind und meldet noch im selben Jahr Konkurs an. Ab Februar 2005 nimmt der Hausbesitzer, der das Gebäude 1993 erwarb, den Filmbetrieb in Eigenregie auf und engagiert Moishe Waks als Geschäftsführer. Nach seinem Tod 2009 wird Tom Zielinski sein Nachfolger.

Tom Zielinski war im Dezember mit dem Verkauf von Technik und Inventar der Kurbel beschäftigt. Auch ich bin an einem Verkaufstag vor Ort, bringe es aber nicht übers Herz, etwas mit nach Hause zu nehmen.

„Vom Winde verweht“ ist der letzte Film, der am 21. Dezember in der Kurbel gezeigt wird. Am 2. Januar 2012 soll der Umbau beginnen.

Ehemalige Adresse: Giesebrechtstr. 4, 10629 Berlin


6 Antworten to “Ausgekurbelt: Charlottenburger Traditionskino wird zum Biosupermarkt”


  1. 1 karu02
    2. Januar 2012 um 11:56

    Im nun entstehenden Laden wird es wohl keine Bio-Filme geben.
    Es sind zwar „nur“ FilmTheater, die verschwinden, mir kommt es jedoch jeweils wie ein Stück Filmgeschichte vor, die anderem weichen muss.

  2. 2. Januar 2012 um 15:50

    Obwohl Bio-Filme mal eine originelle Spezialisierung wären…Kinosterben ist immer traurig, aber hier mal wieder ganz besonders.

  3. 2. Januar 2012 um 17:09

    Das war ein lesenswerter historischer Abriß, danke! Bio statt Film, das ist irgendwie keine Alternative. (Und Du wolltest wirklich keine Kinosessel? Zum sitzenden Gedenken? Aber ich weiß, das fühlt sich ein bißchen an wie Leichenfledderei …)

  4. 2. Januar 2012 um 20:33

    Ja, Lakritze, genauso wäre es mir vorgekommen. Karu, auch die Vorführstätten gehören zur Filmgeschichte, finde ich.

    Seit dem Mauerfall wurden in Ku´damm-Nähe ungefähr zwanzig Kinos geschlossen: Schlüter, Klick, Marmorhaus, Royal, Gloriapalast, Filmbühne Wien, Lupe, Broadway, das alte Astor fallen mir spontan ein. Einen (unvollständigen) Überblick über geschlossene Berliner Kinos findet man hier: http://www.kinokompendium.de/fbwien.htm

    Kinosterben ist ein strukturelles Problem. So traurig mich das Ende der Kurbel stimmt, ich kann beide Seiten in diesem Konflikt verstehen. Ich selbst war im vergangenen Jahr gerade zwei mal in der Kurbel, obwohl ich fußläufig wohne…

  5. 5 richensa
    5. Januar 2012 um 16:58

    Eine ähnliche Entwicklung wie an so vielen anderen Orten in Berlin: Gewinnmaximierung!
    Wahrscheinlich gehen wir alle zu selten ins Kino, wo zuhause die Wahl am Fernseher und am DVD-Spieler soviel größer scheint.
    Vielleicht ein Vorsatz fürs gerade angefangene Jahr: wieder mal ins Kino um die Ecke gehen!?

  6. 6 joulupukki
    11. August 2012 um 16:43

    Danke für den ausführlichen Artikel! Die Straßenbahnansage hat mir besonders gefallen. Und was für ein schicksalsträchtiger Name für einen letzten Film. Kinogeschichte ohne Happy End … wie traurig!


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