Archive for the 'Auf Sand gebaut' Category

17
Sept
11

Gasthof zum Grünen Baum in Boitzenburg


„Der Gasthof zum Grünen Baum“ ist ein Ort der eher war und sein wird als einer, der ist. Es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis man hier logieren kann. Es ist aber möglich, die Auferstehung dieses Ortes zu verfolgen und zu begleiten.

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Als es mich vor über sieben Jahren auf der Suche nach einem für meine Hochzeitsfeier geeigneten Ort in die Uckermark verschlug, fiel mir das Gebäude schon beim Vorbeifahren auf und ich entzifferte den an der verwitterten Fassade erhalten gebliebenen Namenszug „Gasthof zum grünen Baum.“ (Der Punkt hinter Baum steht wirklich da). So heruntergekommen wie das Haus aussah, strahlte es dennoch einen eigentümlichen Charme aus. Wäre es ein Mensch gewesen, hätte ich wohl etwas gesagt wie: „Es scheint Dir nicht gut zu gehen, aber ich würde Dich unheimlich gerne kennen lernen. Jetzt lad ich Dich erstmal zu einem anständigen Essen und einem guten Glas Wein ein und dann werden wir schon sehen, wie es weiter gehen kann.“

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Ich weiß nicht, wann die Gastronomie eingestellt und das Gebäude dem Verfall anheim gegeben wurde. In den 50er Jahren wurde hier zumindest noch Bier ausgeschenkt. Wie wohl auch schon Jahrhunderte vorher. Die erste Nennung ist auf das Jahr 1772 datiert und im Landeshauptarchiv Potsdam zu finden. Im „Oberkrug“, wie der Gasthof damals noch hieß, legten die Postkutschen auf der Route Berlin-Stettin einen Zwischenstopp ein und wechselten die Pferde.

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Eine alte Postkarte lässt vermuten, dass das Haus irgendwann um 1900 den Namen „Gasthof zum Grünen Baum“ bekam. Von 1900 bis 1920 führten Albert und Hermine Biss den Gasthof, danach übernahm ihr Sohn Walter mit seiner Ehefrau Gertrud den Betrieb.

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Das ältere Gebäude wurde vermutlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgerissen und durch die jetzigen Bauten ersetzt. Während das Hauptgebäude auf einem Feldsteinfundament errichtet wurde, über das sich ein zweigeschossiger Putzbau mit einem Satteldach erhebt, wurde das hofseitige Stallgebäude anderthalbgeschossig aus unverputzten roten Ziegeln gebaut. Im kleinen, straßenseitig gelegenen Biergarten sind die alte Lindenbepflanzung sowie eine kleine Freitreppe und die niedrigen Befestigungsmauern der Terrasse erhalten geblieben.

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Am diesjährigen Tag des offenen Denkmals war es nicht nur möglich, sich das Gebäude von innen anzusehen, sondern auch zu erfahren, wie es wiederbelebt werden soll. Im Moment sieht es von innen genau so schlimm aus wie von außen: marodes Gebälk, feuchte Wände, und entfernte Decken und Böden korrespondieren mit glaslosen Fenstern und verwittertem Putz.

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Aber der Architekt und Tischler Carsten Frerich und die Grafikdesignerin Ulrike Hesse haben sich des Hauses angenommen. Sie haben den Zustand des Gasthofes von Fachleuten untersuchen lassen und sie wirken kompetent und realistisch genug, dass man davon ausgehen kann, dass sie ihre Pläne umsetzen werden und dem denkmalgeschützten Haus neues Leben einhauchen. Ein Hotel mit zehn Zimmern im Hauptgebäude und drei Appartements im Stallgebäude soll es werden, natürlich mit Gastronomie und Biergarten. Auf ihrer Website – und auf einem gerade entstehenden Blog – kann man die aktuellen Planungen und Entwicklungen verfolgen und sich über die Geschichte des Gasthofes informieren. In einem Glossar lässt sich zudem Wissenswertes über das Boitzenburger Land nachlesen.

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Den beiden Instandsetzern kann man natürlich nur allen erdenklichen Erfolg wünschen und einigen anderen maroden Gebäuden in Boitzenburg wünscht man, dass sich Menschen finden, die sich ihrer in ähnlicher Weise annehmen.

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Adresse: Gasthof zum grünen Baum, Templiner Straße 4, 17268 Boitzenburger Land

25
Nov
09

Orion ohne Erinnerung


Kurz hinter Staffelde fiel die Tochter in den Schlaf, was allerdings nicht viel änderte, denn als Kartenleserin war sie auch schon vorher ein Totalausfall. Na ja, von einer Zweijährigen darf man in diesem Metier wohl auch nicht zu viel erwarten. „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ ist ein Motto, dem ich schon immer viel abgewinnen konnte. Ich hasse Navigationsgeräte, nicht nur weil ich mir nicht gerne sagen lasse, wo es für mich langzugehen hat. Mir genügen flüchtige Blicke in die Karte und ansonsten orientiere ich mich am Stand der Sonne. Jedenfalls hatten wir wohl eine entscheidende Abfahrt verpasst, als wir mit dem Auto auf dem Weg nach Linum waren, um uns dort Kraniche anzuschauen.

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Orion. Ein witziger Name für einen Brandenburger Ort. Ich bog spontan von der Hauptstraße ab und hielt nach Spannendem Ausschau. Keine Raumstation, nichts Erotisches, nur Einfamilienhäuser. Der Ort Orion wirkte sehr langweilig. Es war auch später nicht leicht, etwas über ihn zu erfahren. Die Geschichte ist nicht witzig. Der Ursprung des Ortes liegt in der Nazizeit. In einer Rüstungsfabrik auf einer Waldlichtung ließen die Faschisten Leuchtspurmunition fertigen. Daher der Name des Ortes. Geblieben von damals sind nur drei verklinkerte Ingenieursunterkünfte und ein ebenfalls mit Klinkern versehenes Abwassernetz. Irgendwo soll es auch noch die Abschussrampen geben, von denen aus bei Tests die Leuchtmunition ins Kremmener Luch geschossen wurde. An die Zwangsarbeiter, die hier leiden mussten, erinnert vor Ort nichts. Absolut nichts. Anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus im Mai 2005 wurden von der Lokalen-Agenda-21-Gruppe gemeinsam mit der Stadt Kremmen – zu der Orion mittlerweile gehört – und mit Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ drei ehemalige ukrainische Zwangsarbeiterinnen, die in ihrer Jugend in der Munitionsfabrik Orion ausgebeutet wurden, eingeladen und betreut. Immerhin.

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Adresse: Orion, 16766 Kremmen

28
Sept
09

Kinder erschrecken mit Ritter Kahlbutz


Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Kinder Deine Geschichten nicht mehr gruselig finden und überhaupt übertrieben aufmüpfig werden. Möglicherweise kann sie dann ein Besuch bei der mumifizierten Leiche des Ritters Kahlbutz vorübergehend zur Räson bringen. Dazu begibt man sich in das havelländische Dorf Kampehl, knapp 100 Kilometer von Berlin und gut fünf von Kyritz an der Knatter entfernt.

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Man muss sich vor dem Eingang zur Gruft der kleinen rechteckigen, aus Feldsteinen errichteten Wehrkirche von Kampehl gedulden, bis die vorherigen Besucher ihren ca. zwanzigminütigen Besuch beendet haben. Dann darf man selber in die Gruft treten, die gerade mal Raum für ein Dutzend Personen bietet. Ein Dorfbewohner hält dann einen recht launigen Vortrag und beantwortet die wohl immergleichen Fragen der Besucher.

Ein rissiger Sargdeckel, eine mittelalterliche Turnierlanze, ein paar geschmiedete Helme und ein kleiner Verkaufstisch im Broschüren und Postkarten lenken kaum vom dunklen Holzsarg mit gläsernem Deckel ab. Auf weißem Stoff drapiert liegt hier die Mumie, die Hände gefaltet, den Schoß mit einem Tuch bedeckt, eigenartig, gelbledrig eingeschrumpelt aber eben für eine dreihundert Jahre alte Leiche in einem erstaunlich frischen Zustand.

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Im 16. Jahrhundert wurde die Familie Kalebuz erstmals als Besitzer des Rittergutes von Kampehl erwähnt. Bis 1783 behielt sie den Besitz, dann starb ihr letzter männlicher Spross. Mit Gottliebe Sophie von Kalebuz, Stiftsfräulein in Heiligengrabe, verstarb auch der letzte weibliche Vertreter im Jahre 1795 – zumindest was die offiziellen Nachkommen angeht. Die Familie Kröcher auf Lohm erwarb das Rittergut. Bereits nach wenigen Jahren wurde der Besitz aber schon an den Königlichen Stallmeister Krell verkauft. Der fühlte sich der Gemeinde verpflichtet und ließ 1794 die Dorfkirche renovieren. Um das ursprüngliche Aussehen der Kirche wieder herzustellen, sollte die nachträglich errichtete Grabkapelle, die Begräbnisstätte derer von Kalebuz, abgetragen und ihre Särge erdbestattet werden. Beim öffnen der Särge stellte man erstaunt fest, dass eine der Leichen unverwest ist. Man erinnerte sich an die Geschichte des Christian Friedrich von Kalebuz.

Der lebte von 1651 bis 1702 und war damit ein Zeitgenosse des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. An seiner Seite kämpfte Christian Friedrich in der Schlacht von Hakenberg gegen die Schweden und erlitt eine Verwundung, deren Narbe am linken Knie an der Mumie zu erkennen ist. Der Ritter hatte 11 eheliche Kinder. Es werden ihm aber über 30 weitere außereheliche nachgesagt. Angeblich soll der Ritter gern auf das „Recht der ersten Nacht“ bestanden haben. 1690 fand in Dreetz bei Neustadt/Dosse ein Prozess gegen Christian Friedrich von Kalebuz statt. Er sollte den Schäfter Pickert erschlagen haben. Das behauptete jedenfalls die Braut des Erschlagenen, Maria Leppin. Da es keine Zeugen und Beweise für die Tat gab, wurde der Angeklagte nach einem „Reinigungseid“ freigesprochen.

Es gab eine Reihe von Anzeichen, dass es sich bei der mumifizierten Leiche um Christian Friedrich handelte. Bald entstand die Sage, dass der Ritter den Schäfer erschlagen habe, weil seine Verlobte dem Gutsherren die „erste Nacht“ verweigert hätte. Das sein Reinigungseid den Zusatz enthielt, falls er doch der Mörder gewesen wäre, möge seine Leiche niemals verwesen, kam auf. Die Sage fand schließlich 1881 Eingang in die schriftlichen Aufzeichnungen des Küsters und Lehrers Leopold Schaumann aus Wusterhausen an der Dosse.

Im Laufe der Zeit mussten die (un)sterblichen Überreste des Ritters einiges über sich ergehen lassen. So sollen sie einmal uniformiert als Wache in ein Schilderhaus aufgestellt oder auch schon mal einem Brautpaar ins Hochzeitsbett gelegt worden sein. Die Dorfjugend drapierte die Mumie auf der Friedhofsmauer und auf dem Dach des Schulhauses. Einige Jahre soll sie sogar im Wartezimmer einer Arztpraxis in Neustadt aufgestellt gewesen sein. Aus einem entwendeten Stiefel sollen Leipziger Studenten ihren gemeinschaftlichen Trunk genommen haben, ehe er reumütig zurück geschickt wurde. Natürlich verkündet die mündliche Überlieferung, dass solcher Schabernack immer auf schreckliche, übernatürliche Weise bestraft wurde.

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Von 1794 bis 1945 wurde die Mumie unter der Obhut der Kirche der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bereits anlässlich der nationalsozialistischen Olympiade 1936 besuchten Tausende die Kampehler Dorfkirche und es sollen von japanischen und amerikanischen Geschäftsleuten bedeutende Summen für den Erwerb geboten worden sein. Während der DDR-Zeit eignete sich die Stadt Neustadt die Mumie an, Proteste der Kirche ignorierend. 1989 versuchte eine Gruppe um den damaligen Neusdtädter Bürgermeister Bublitz sich die Mumie endgültig zu Eigen zu machen. Angeblich wollte man vermeiden, dass die Kirche den Ritter erdbestattet und damit eine einträgliche Sehenswürdigkeit beseitigt. Heimlich wurde das ehemalige Spritzenhaus für einen Informationsraum rekonstruiert. Ein Traktor und einige verpflichtete ABM-Kräfte standen bereit um die Mumie umzulagern. Einzelne Stadtverordnete und engagierte Bürger verhinderten die Umbettung und es kam letztendlich zu einem gerichtlichen Vergleich zwischen Stadt und Kirche, der besagte, die Mumie in der Kirche zu lassen, aber zu gewährleisten, dass sie für die Öffentlichkeit zugänglich bliebe.

Die Geschichte des Ritters von Kahlbutz wird in dem 1998 gedrehten Jugendfilm „Spuk aus der Gruft“ mit Matthias Schweighöfer und Kurt Böwe aufgegriffen.

Zahlreiche Ärzte – darunter Rudolf Virchow und Ferdinand Sauerbruch – haben versucht dem Rätsel der Mumifizierung wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, eine eindeutige Erklärung konnten sie bis heute nicht liefern. Aber zum Kindererschrecken taugt die Mumie auf alle Fälle.

Adresse: Dorfkirche, Ortsteil Kampehl , 16845 Neustadt

15
Sept
09

München an der schwarzen Elster


„Was sind eigentlich Mönche?“ fragte die achtjährige Tochter bei einer Klosterbesichtigung. Nachdem sie eine Antwort bekommen hatte, wendete sie sich an die gleichaltrige Freundin: „Siehste, doch nicht die Einwohner von München!“

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Das kleinere München liegt an der schwarzen Elster und hat 24 Einwohner. 1445 wurde es erstmals als Monchin urkundlich erwähnt, damals wurde bereits das Hammerwerk genannt, das auch noch heute als Siedlungskern fungiert. 1590 gab es in dem Ort fünf besessene Männer. Das waren keineswegs Fälle für einen Exorzisten, sondern Bauern, die einen oder mehreren Hufen Land besaßen und in der dörflichen Sozialhierarchie über den Köttern und Büdnern – Besitzern von Kleinsthöfen – und über den Landlosen standen. 1672 taucht der Ort dann erstmals als München auf. Nach dem verheerenden 30-Jährigen Krieg gab es nur noch fünf Einwohner, 1860 waren es immerhin 45. 1958 wurde München in die benachbarte Kleinstadt Uebigau eingemeindet.

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Auf dem alten Mühlenhof gibt es eine Lokalität, die sich „Münchner Absteige“ nennt. Aber als wir am Himmelfahrtstag, auch Vater- bzw. Herrentag, hier anhielten, waren der Liebsten die zahlreichen fröhlichen Ausflügler nicht geheuer, so dass ich sie nicht zur Einkehr bewegen konnte. Der Ort, zwischen Torgau und Finsterwalde im Elbe-Elster-Kreis gelegen, mag Manchem etwas herunter gekommen erscheinen, auf mich wirkten gerade die Spuren des Vergänglichen in Verbindung mit der das Dorf umgebenen Landschaft eher reizvoll.

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In Anlehnung an das namensgleiche Fest im freistaatlichen München wird seit 2001 hier Anfang Oktober ein Oktoberfest gefeiert. Dann wird ein riesiges Zelt auf der Schafskoppel aufgebaut. Im letzten Jahr sollen sich rund 7000 Besucher eingefunden haben, ca. 10% davon in Dirndl oder Lederhose. 18000 Liter Bier gingen über den Tresen.

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Adresse: 04938 München