Archiv für November 2009

25
Nov
09

Orion ohne Erinnerung


Kurz hinter Staffelde fiel die Tochter in den Schlaf, was allerdings nicht viel änderte, denn als Kartenleserin war sie auch schon vorher ein Totalausfall. Na ja, von einer Zweijährigen darf man in diesem Metier wohl auch nicht zu viel erwarten. „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ ist ein Motto, dem ich schon immer viel abgewinnen konnte. Ich hasse Navigationsgeräte, nicht nur weil ich mir nicht gerne sagen lasse, wo es für mich langzugehen hat. Mir genügen flüchtige Blicke in die Karte und ansonsten orientiere ich mich am Stand der Sonne. Jedenfalls hatten wir wohl eine entscheidende Abfahrt verpasst, als wir mit dem Auto auf dem Weg nach Linum waren, um uns dort Kraniche anzuschauen.

Orion

Orion. Ein witziger Name für einen Brandenburger Ort. Ich bog spontan von der Hauptstraße ab und hielt nach Spannendem Ausschau. Keine Raumstation, nichts Erotisches, nur Einfamilienhäuser. Der Ort Orion wirkte sehr langweilig. Es war auch später nicht leicht, etwas über ihn zu erfahren. Die Geschichte ist nicht witzig. Der Ursprung des Ortes liegt in der Nazizeit. In einer Rüstungsfabrik auf einer Waldlichtung ließen die Faschisten Leuchtspurmunition fertigen. Daher der Name des Ortes. Geblieben von damals sind nur drei verklinkerte Ingenieursunterkünfte und ein ebenfalls mit Klinkern versehenes Abwassernetz. Irgendwo soll es auch noch die Abschussrampen geben, von denen aus bei Tests die Leuchtmunition ins Kremmener Luch geschossen wurde. An die Zwangsarbeiter, die hier leiden mussten, erinnert vor Ort nichts. Absolut nichts. Anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus im Mai 2005 wurden von der Lokalen-Agenda-21-Gruppe gemeinsam mit der Stadt Kremmen – zu der Orion mittlerweile gehört – und mit Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ drei ehemalige ukrainische Zwangsarbeiterinnen, die in ihrer Jugend in der Munitionsfabrik Orion ausgebeutet wurden, eingeladen und betreut. Immerhin.

Orion2

Adresse: Orion, 16766 Kremmen

13
Nov
09

Staatspropaganda am Deutschen Historischen Museum


Seit Mitte Oktober kann man sich im Deutschen Historischen Museum (DHM) die Ausstellung „Fremde? Bilder von den `Anderen´ in Deutschland und Frankreich seit 1871“ ansehen. Ein deutsch-französisches Kuratorenteam hat die Schau gestaltet, die vorher bereits im Pariser Migrationsmuseum zu sehen war. Im letzten Teil geht es um den Umgang der EU mit Flüchtlingen. Nach Informationen der Zeit sollte ursprünglich auf der Texttafel 158 stehen: „Während innerhalb Europas die Grenzen verschwinden, schottet sich die EU zunehmend nach außen ab. Die `Festung Europa´ soll Flüchtlingen verschlossen bleiben.“ Angeblich auf Drängen des Kulturstaatsministers Bernd Neumann wurde der Text wie folgt geändert: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.“

Jochen Oltmer, Historiker am Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück und einer der drei wissenschaftlichen Beiräte der Ausstellung spricht von Zensur. Der DHM-Direktor Hans Obermeyer erklärt in einer Pressemitteilung, dass er wie üblich dem zuständigen BKM-Referat die Ausstellungstexte zur Verfügung gestellt habe. Es habe „berechtigte Rückfragen“ dieses Referates bezüglich des oben zitierten Textes gegeben. Das habe Obermeyer zum Anlass genommen, „in eigener Verantwortung Modifizierungen vorzunehmen.“ Eine politische Einflussnahme oder gar Zensur hätte es nicht gegeben. Der Tagesspiegel berichtet, dass ihm gegenüber Mitarbeiter des Museums bestätigt hätten, dass Neumanns Apparat Druck ausgeübt habe, auch wenn die offizielle Version anders laute.

Wie dem auch sei, ausgerechnet zum 20. Jahrestag den Mauerfalls, wo überall an die Überwindung eines dirigistischen Systems erinnert wird, sind peinliche Parallelen nicht von der Hand zu weisen. In der DDR residierte das Museum für Deutsche Geschichte im Berliner Zeughaus. Es wurde direkt vom Zentralkomitee der SED kontrolliert. Nach der Wiedervereinigung zog an diesen Ort das DHM. Es sollte sich jeglicher Einmischung des Staates entziehen. Freiheit der Wissenschaft, Meinungspluralität und Zivilcourage sind wohl eher für Jubiläumsreden geeignet und nicht so sehr als Maxime des Umganges eines Ministeriums mit einer autonomen Bildungseinrichtung. Schade, eigentlich.

10
Nov
09

Häuptling Eigener Herd – Die Vierzigste


Jetzt ist die 40. Ausgabe erschienen. Sie trägt den Titel „Frankenstein“. Kulinarisch fällt einem dazu spontan Einiges ein. Aber der „Häuptling Eigener Herd“ wäre nicht er selbst, wenn den Autoren nicht noch ein wenig mehr einfiele. Rolf Cantzen und Bodo Dringenberg werfen einen bestens recherchierten Blick in die Kochtöpfe der Kannibalen, Thomas Vilgris setzt sich mit dem medialen Hype um den Analogkäse auseinander, der Restaurantkritiker Jörg Zipprick erinnert wehmütig an den Film „Brust oder Keule“ von Louis den Funès und lässt die Molekularküche alt aussehen. Aber auch Schaumschläger wie der „FAZ-Großkritiker“ Jürgen Dollase, der seine Leser mit Begriffen wie „Texturerwartung“, „Ressentiment-Küche“ oder „Subtilitätsgewinn“ malträtiert, bekommen ihr Fett weg. Vincent Klink steuert „eines der wichtigsten Rezepte des Abendlandes“ bei, um nur einige Beiträge zu erwähnen. Das Ganze ist diesmal mit Zeichnungen von Rattelschneck illustriert.

Häuptling

Vergaß ich zu erwähnen, dass der „Häuptling Eigener Herd“ die von Sterne- und Fernsehkoch Vincent Klink (Restaurant Wielandshöhe) und Satiriker Wiglaf Droste gemeinsam herausgegebene, etwas andere literaturkulinarische Zeitschrift ist? Sie erscheint „so vierteljährlich wie möglich“. Wesentlicher Auslöser für ihr Auftauchen in der Welt vor zehn Jahren war, dass man Klink, als einem Herausgeber des Kulinarischen Almanachs bei Klett-Cotta, still und heimlich, ohne Rücksprache ein Gedicht entfernt hatte. Seitdem tanzt der Häuptling unter dem Motto „Wir schnallen den Gürtel weiter“ auf dem dünnen Seil zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit. Jedes Heft ist einem speziellen Thema gewidmet und wird jeweils durchgehend von wechselnden Zeichnern bebildert. Die „kulinarische Kampfschrift“ kostet im Abo für 4 Ausgaben 54.- Euro, das Einzelheft 14,90. Ich lasse mir jedes Jahr ein Abo zu Weihnachten schenken. Wenn die Post dann eine Ausgabe bringt, lese ich sie mehr oder weniger am Stück durch. Das „Lebensmittel für Hirn und Wanst“ ist das Geschenk für Jeden, der sich für Genuss und Literatur begeistern kann. Mehr Geschenktipps sind von mir bis Weihnachten nicht zu erwarten!

Alte Weinsteige 71, c/o Edition Vincent Klink GmbH, 70597 Stuttgart
http://www.haeuptling-eigener-herd.de

Einzel- und Abo-Bestellungen:
BuchGourmet, Herrn Dieter K. Eckel, Hohenzollernring 16 – 18, 50672 Köln

Die Publikation wurde eingestellt!