Archive for the 'Nicht Brot allein' Category

19
Jan
10

Die goldenen 20er in Blau – Heinrich am Rosa-Luxemburg-Platz


Meine Idee war, mit einem guten Freund eine Reihe von unhippen Berliner Kneipen zu entdecken. Ich schlug ihm vor, am ersten Abend mit dem ”Kaputten Heinrich” zu beginnen. Aber mein Plan ging nicht auf. Nö, kaputte Kneipen hätte er in seinem Leben genug gehabt. Folgerichtig landeten wir im Heinrich. Dieses Restaurant ist alles Andere als unhipp. Dafür sorgen schon die Inhaber Florentine Joop, jüngste Tochter des Mode-Joops und ihr Ehemann der Koch Heinrich Beckmann. Sie betrieben zuvor das Restaurant Barokoko am Nauener Platz in Potsdam. Man möchte an die „Goldenen Zwanziger Jahre“ anknüpfen. Irgendwo habe ich gelesen, dass es sogar Berliner Gerichte der 20er Jahre geben soll. Das ist natürlich Quatsch, denn die Berliner Küche der 20er Jahre unterschied sich wohl kaum von der, der 10er oder 30er Jahre, abgesehen natürlich von der Mangelversorgung im 1. Weltkrieg und dem was, man später zugestanden bekam, wenn man nicht zur Volksgemeinschaft gerechnet wurde. Hunger und Hungerrevolten gab es übrigens auch im Berlin der 20er Jahre. Aber ich schweife ab.

Hinter der denkmalgeschützten Fassade findet man sich in einer Innenausstattung im Stil des „Art Deco“ wieder, zwar nicht immer konsequent und mit einigen Brüchen umgesetzt. Dennoch empfinde ich das Ambiente des hohen, saalartigen Hauptraums als besonders wohltuend. Über eine Treppe erreicht man eine Galerie, ausgestattet mit Club- und Plüschsesseln. Von den Fensterplätzen aus blickt man auf die nahe Volksbühne. Die Farbe Blau dominiert.

Der Service ist aufmerksam. Die Karte angenehm überschaubar. Man verspricht mit saisonal frischen Zutaten zu kochen. Dass nur zwei offene Rotweine auf der Karte stehen ist etwas schwach. Dafür gibt es Staropramen vom Fass.

Der Freund und ich konnten uns Beide nicht zwischen zwei Gerichten entscheiden. Nach einem Sching-Schang-Schong-Urteil, bekam er den „Stolzen Heinrich“, eine Bratwurst in Biersauce mit Kartoffelpüree und Rotkohl. Mir servierte man eine Kalbsleber mit Kartoffelpüree, Zwiebeln und Äpfeln. Abgesehen davon, dass von den zwei (unterschiedlich dicken) Leberstücken das eine etwas zu lange und das andere etwas zu wenig lange gebraten hatte, war Alles sehr ordentlich, aber auch nicht mehr. Es gibt sicherlich Orte wo man ähnliche Qualität preiswerter bekommt. Dafür dann aber auch nicht in so einem Ambiente.

Am Nebentisch saß ein älteres Paar, das mit wichtiger Mine und einem eigenartigen Automatismus jeden Teller fotografierte, der ihnen serviert wurde. Nicht sehr charmant wanderten die entsprechenden Anweisungen dazu vom männlichen zum weiblichen Part. Bestimmt schreiben die für irgend so ein ominöses Online-Bewertungs-Portal…

In meinen Ohren der größte Pluspunkt ist die Musik, die hier gespielt wird. Sie stammte während meiner Anwesenheit tatsächlich aus den 20er Jahren. Es war, als hörte ich meine eigene Schellackplattensammlung – nur die Arbeiterlieder fehlten. Allein dafür werde ich wieder kommen. Aber zunächst stehen zwei total unhippe Lokalitäten im Wedding an. Dazu konnte in den Freund im Laufe des Abends überreden.

Ehemalige Adresse (Das Restaurant gibt es nicht mehr!):

Heinrich
Rosa-Luxemburg-Str. 39-41
10178 Berlin
Tel: 030 1389 9906
http://www.heinrich-restaurant.de/

10
Nov
09

Häuptling Eigener Herd – Die Vierzigste


Jetzt ist die 40. Ausgabe erschienen. Sie trägt den Titel „Frankenstein“. Kulinarisch fällt einem dazu spontan Einiges ein. Aber der „Häuptling Eigener Herd“ wäre nicht er selbst, wenn den Autoren nicht noch ein wenig mehr einfiele. Rolf Cantzen und Bodo Dringenberg werfen einen bestens recherchierten Blick in die Kochtöpfe der Kannibalen, Thomas Vilgris setzt sich mit dem medialen Hype um den Analogkäse auseinander, der Restaurantkritiker Jörg Zipprick erinnert wehmütig an den Film „Brust oder Keule“ von Louis den Funès und lässt die Molekularküche alt aussehen. Aber auch Schaumschläger wie der „FAZ-Großkritiker“ Jürgen Dollase, der seine Leser mit Begriffen wie „Texturerwartung“, „Ressentiment-Küche“ oder „Subtilitätsgewinn“ malträtiert, bekommen ihr Fett weg. Vincent Klink steuert „eines der wichtigsten Rezepte des Abendlandes“ bei, um nur einige Beiträge zu erwähnen. Das Ganze ist diesmal mit Zeichnungen von Rattelschneck illustriert.

Häuptling

Vergaß ich zu erwähnen, dass der „Häuptling Eigener Herd“ die von Sterne- und Fernsehkoch Vincent Klink (Restaurant Wielandshöhe) und Satiriker Wiglaf Droste gemeinsam herausgegebene, etwas andere literaturkulinarische Zeitschrift ist? Sie erscheint „so vierteljährlich wie möglich“. Wesentlicher Auslöser für ihr Auftauchen in der Welt vor zehn Jahren war, dass man Klink, als einem Herausgeber des Kulinarischen Almanachs bei Klett-Cotta, still und heimlich, ohne Rücksprache ein Gedicht entfernt hatte. Seitdem tanzt der Häuptling unter dem Motto „Wir schnallen den Gürtel weiter“ auf dem dünnen Seil zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit. Jedes Heft ist einem speziellen Thema gewidmet und wird jeweils durchgehend von wechselnden Zeichnern bebildert. Die „kulinarische Kampfschrift“ kostet im Abo für 4 Ausgaben 54.- Euro, das Einzelheft 14,90. Ich lasse mir jedes Jahr ein Abo zu Weihnachten schenken. Wenn die Post dann eine Ausgabe bringt, lese ich sie mehr oder weniger am Stück durch. Das „Lebensmittel für Hirn und Wanst“ ist das Geschenk für Jeden, der sich für Genuss und Literatur begeistern kann. Mehr Geschenktipps sind von mir bis Weihnachten nicht zu erwarten!

Alte Weinsteige 71, c/o Edition Vincent Klink GmbH, 70597 Stuttgart
http://www.haeuptling-eigener-herd.de

Einzel- und Abo-Bestellungen:
BuchGourmet, Herrn Dieter K. Eckel, Hohenzollernring 16 – 18, 50672 Köln

Die Publikation wurde eingestellt!

30
Okt
09

Max und Moritz ohne Tücke


Geschäftspartner aus diversen asiatischen und europäischen Ländern wollten zum Abendessen ausgeführt werden. Etwas traditionell Berlinerisches sollte es sein. Gar nicht so leicht zu finden, denn wenn irgendwo Alt-Berliner Kneipe dran steht, fühle ich mich zunächstmal abgestoßen. Dann wird meist der alte Zille missbraucht, es mieft nach Berliner Luft, Luft, Luft und die olle Hungerkralle will sich Touristen grapschen, die nicht schnell genug Reißaus nehmen können, die morgen eh wieder weg sind, die nicht wieder kommen brauchen. Täglich schleusen Flieger, Busse und Bahnen neue Opfer in die Hauptstadt.

Das Max & Moritz hebt sich positiv ab. Zwanzig Plätze waren unkompliziert per Telefon reserviert. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass weder EC- noch Kreditkarten akzeptiert werden. Auf meinen Einwand, dass ich ungern mit dicken Geldbündeln in der Tasche durch die Gegend liefe, hieß es, ich solle einfach eine professionell gestaltete Visitenkarte mitbringen, das würde auch reichen, um das Konsumierte per Rechnung zu begleichen. Dass sich jetzt aber niemand auf mich beruft und versucht Ähnliches einzufordern.

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Das Kreuzberger Wirtshaus macht nicht bemüht auf traditionell, zahlreiche Details der Innenarchitektur und des Mobiliars lassen die über 100-jährige Geschichte einfach nicht leugnen. Im Jahre 1902 eröffnete Felix Fournier das Wirtshaus am 70. Geburtstag Wilhelm Buschs. Der war mit der Namenswahl einverstanden, stellte aber als Bedingung, dass einmal in der Woche Erbsensuppe an die arme Bevölkerung ausgegeben würde. In den 20er Jahren entwickelte sich das Max & Moritz zum Vergnügungslokal mit 400 Sitzplätzen in zwei Speisesälen, mit Stehbierhalle und Likörtresen. Tatsächlich verkehrten sowohl Heinrich Zille, als auch Paul Lincke – der Komponist der „Berliner Luft“ – hier. Damals wurde das gesamte Haus genutzt. In der zweiten Etage befand sich der Küchentrakt, die dritte Etage war Schlachterei, in der vierten Etage war die Räucherei untergebracht und im Hinterhaus wohnte das Personal. Zum Mittagessen fuhren betuchte Gäste aus dem nahen Zeitungsviertel vor, abends traf sich der Gesangsverein „Typografie“ der Reichsdruckerei, die Arbeiterparteien hielten Versammlungen ab, aber auch die Deutsche Sozialwissenschaftliche Gesellschaft kam hier zusammen.

Michael Kuhlmann, der zusammen mit Chefkoch David Ryan den Laden seit 2006 leitet, erzählt, dass Felix Fournier als Jude zu Beginn der Nazizeit das Wirtshaus einer älteren Stammkundin überschrieb. Die versteckte ihn bis zur Befreiung in einer Gartenlaube, anschließend habe er das Lokal weiter betrieben. Es folgten mehrere Besitzerwechsel. In den 70ern sollten die Räume als Möbellager genutzt werden. Das Mobiliar war schon in den Keller ausgelagert als ein badischer Theologe das Potential der Räume erkannte und das Max & Moritz mit viel Liebe zum Detail wieder her richtete. Der Laden wurde zum Kreuzberger Szenelokal, zeitweise kollektiv geführt. Am 5. Oktober 1978 wurde im großen Saal die Alternative Liste gegründet. Gründungsmitglieder waren u.a. Wolfgang Wieland und Hans-Christian Ströbele. In den 90ern begann die Wohnungsbaugesellschaft Bewoge mit der Totalsanierung des Hauses. Das Lokal musste für mehrere Jahre schließen und wurde erst 2001 von neuen Betreibern wiedereröffnet.

Das Gasthaus ist heute dreigeteilt. Die ehemalige “Stehbierhalle” und das “Likörbuffet mit Brötchenschrank für kalte Speisen” bieten Platz für das eigentliche Restaurant. Im Obergeschoß gibt es einen kleinen Saal mit beeindruckenden Glasmalereien. Es gibt hier eine niedliche Bühne mit Schminkraum, eine Bibliothek und eine kleine Bar. Im hinteren Teil des Erdgeschosses findet man den gerade renovierten Ballsaal. Seine Jugendstil-Oberlichter schaffen ein ganz eigenes Ambiente.

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Man bietet traditionelle Berliner Küche, schränkt aber auf der Karte auch gleich ein: „Der Ausdruck `Berliner Küche´ ist eigentlich falsch. Der Ursprungsort der wenigsten`Berliner´ Gerichte ist Berlin. Berlinisch ist die spezielle Art die Dinge zu nehmen, der `Pfiff´, so wie die landlosen Bauern und Handwerker, die aus der Niederlausitz, aus Schlesien und dem Oderbruch am Görlitzer- oder am Schlesischen Bahnhof ankamen, mit der in rasender Eile entstehenden Großstadt fertig werden mußten. Aus ihrer Heimat brachten Sie auch ihre Eßgewohnheiten mit und im Schmelztiegel der Arbeitervorstädte entstand dieses speziell `Berlinische´, dort ist es auch heute noch zu Hause.“ Dass die Berliner Kultur eine der Zugezogenen ist, ist sicherlich wahr, macht die ganze Chose aber etwas beliebig, so dass auch Westfälische Mettenden mit süß-sauren Brechbohnen, Rheinischer Sauerbraten und sogar süßer Flammkuchen mit Äpfeln, Rosinen, Zimt und Calvados, am Tisch flambiert, im Angebot sind. Insgesamt bietet die Karte aber eine überschaubare Anzahl von klassischen, Hausmannkost-Gerichten, ergänzt durch eine den Jahreszeiten angepasste Tageskarte. Man schmeckt, dass frische und hochwertige Zutaten verwendet werden.

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Das war allerdings meinen Gästen zunächst reichlich egal. Japaner und Chinesen bestellten sich Schlachteplatten oder Eisbein und zückten beim Servieren ihre Handykameras, denn von solchen barbarischen Fleischbergen waren sie fasziniert. Mein Rindersteak war zwar ein klein wenig länger gebraten als ich geordert hatte, aber immerhin machte mich die Kellnerin darauf aufmerksam und bot mir an, ein neues zu bringen, falls ich es wünschte.

Überhaupt die Kellnerin. Sie beeindruckte nicht nur durch ihr fließendes Englisch, sondern auch dadurch, dass sie sich Getränke- und Speisebestellungen (mit einigen Extras) – scheinbar problemlos – im Kopf merken konnte. Für meinen indischen Tischnachbarn kam das einem Zaubertrick gleich. Auf Nachfrage erfuhr er, dass sie als bildende Künstlerin eben ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen hätte, sich Gesichter merken und außerdem rechnen könne.

Obwohl alle reichlich den fünf Biersorten vom Fass oder der kleinen, aber ordentlichen Weinauswahl zusprachen und ein Teil der Gäste den Abend mit mehreren Runden Jägermeister abschließen zu müssen glaubte, kam eine erstaunlich niedrige Rechnung zusammen, die alles in allem bei nicht mehr als 25 Euro pro Person lag.

Da erlaubte ich mir, als alle auf den Heimweg gebracht waren, noch ein Glas badischen Dornfelder an der Theke zu genießen und beschoss, hier öfter einzukehren.

Adresse: Max und Moritz, Oranienstraße 162, 10999 Berlin |http://www.maxundmoritzberlin.de/

27
Okt
09

Eine feine Bäckerei


Die Feinbäckerei hat etwas Märchenhaftes an sich. An der eher unwirtlichen Suermondtstraße gelegen, leuchtet sie besonders an grauen Herbst- und Wintertagen und verspricht Wärme und Süße und Wohlgeschmack und ein kleines Stück vom Glück dieser Welt. Hier gibt es noch eine Backstube und nicht nur Aufbacköfen. Hier stellt der Bäckermeister seine Zutaten noch selbst zusammen und verzichtet auf Fertigbackmischungen. Das Angebot ist überschaubar. Geht es auf den Abend zu, ist es manchmal auf wenige Restexemplare reduziert. Der Meister hat wohl zu viel Respekt vor seinen Produkten um für die Tonne zu backen. Dafür experimentiert er gerne und bietet auch Mal Löwenzahn- und Hagebuttenblüten-Brötchen an. Seine herzhaften Bötchen, bei denen er ansonsten beispielsweise Zwiebeln oder Speck oder Sauerkraut in den Teig knetet, sind einer der Höhepunkte. Aber auch seine Blechkuchen oder süßen Backteilchen sind eine Offenbarung.

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Der kleine Verkaufsraum könnte auch vor etlichen Jahrzehnten bereits genauso ausgesehen haben. Die Ehefrau des Bäckers steht hinter dem Tresen und kommt mit ihrer nicht antrainierten sondern wesenseigenen Freundlichkeit mit Jedem ins Gespräch. Da muss man dann auch manchmal ein wenig warten bis man dran ist. Die erste Begegnung mit der Feinbäckerei hatte ich als ich – anlässlich der Geburt meiner jüngsten Tochter – Kuchen für meine Kollegen kaufen wollte. Es war gegen zehn Uhr vormittags. „Ja, soviel haben wir ja gar nicht mehr da“ seufzte die Bäckersfrau, „ach sagen Sie einfach was Sie wollen!“ Danach rief sie nach hinten in die Backstube: „Emil, Du musst noch Mal neuen Kuchen backen!“ Natürlich entließ sie mich nicht ohne nach dem Grund des Großeinkaufs zu fragen: „Haben Sie Geburtstag?“ „Nein, ich bin Vater geworden.“ „Herzlichen Glückwunsch, ich hatte auch so einen Nachzügler!“ „So alt sehe ich dann doch auch wieder nicht aus“, dachte ich. „Ja, bei meinem jüngsten Sohn war ich auch schon über dreißig. Genießen sie es!“ Damit war der Mittvierziger wieder versöhnt. Ich konnte den Kuchen dann samt Blechen zwei Stunden später abholen und damit die Kollegen begeistern.

Adresse:

Feinbäckerei
Suermondtstr. 64
13053 Berlin

16
Okt
09

Kulinarische Reflexionen zum Herbst


Angst macht mir vor allem die Zeit um Halloween, da bin ich richtig empfindsam. Halloween ist übrigens weder eine Erfindung der Amerikaner noch der Kostümhersteller, sondern ursprünglich eine keltische Angelegenheit, die mit den großen irischen Auswanderungswellen in die USA gelangte. Nach Deutschland kam es über die Amerikaner und die Kostümhersteller. Angst machen mir übrigens (in erster Linie) nicht die hysterischen Übereltern, die sich in ihren kleinen, weltabgewandten Grüppchen, auf Kitastühle gequetscht, in von Kinderpups geschwängerter Luft darauf verständigen, dass selbstverständlich keines ihrer Kinder eine irgendwie angsteinflößende Verkleidung anlegen dürfe. So müssen sich die lieben Kleinen als pastellfarbene Feen, Blumen oder Kürbisse lächerlich machen.

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Und damit bin ich bei der Ursache meiner Angst angelangt: dem Kürbis. Ausgehöhlt und mit einer dreckigen Fratze versehen, ist er ganz nett anzuschauen. Blöd nur, dass es weit verbreitete Hemmungen gibt, den Inhalt, das Kürbisfleisch in den von Gott dafür vorgesehenen Ort zu befördern: die Mülltonne. Alle Welt meint, man müsse dieses Zeug irgendwie verwerten und so bekommt man allüberall Kürbissuppe, Kürbiskuchen und Kürbismarmelade angeboten. Allein, noch nie habe ich erlebt, dass ein Gericht mit Kürbis drin einigermaßen essbar war. Bei uns zuhause läuft das immer so ab, dass eine Unmenge edler Zutaten (Ingwerwurzel, Steirisches Kürbiskernöl, frisch gepresster Orangensaft, frischer Koriander, Vanilleschoten usw.) in der Hoffnung besorgt werden, ihr Zusatz könne in Verbindung mit aufwendigsten Zubereitungsprozeduren das – im günstigsten Fall vollkommen geschmacklose – Kürbismark in eine essbare Speise verwandeln. Hat leider noch nie geklappt. Regelmäßig bleiben gigantische Mengen übrig. Die darf man dann aber natürlich – eingedenk der teuren Zutaten und der zeitraubenden Kocherei – nicht wegschmeißen. Auf die Schnelle fallen mir auch nicht genügend Mitmenschen ein, die ich nicht so richtig gern mag und mit dem Zeug beglücken könnte. So verstopft der Kürbisfraß dann bis zum nächsten Stromausfall ungefähr zwei Drittel unseres Gefrierschrankes.

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Mein Tipp: In diesem Herbst statt des vermaledeiten Kürbisses mal etwas ganz Neues ausprobieren! Wer mag Meerschweinchen? Wer hat sich schon einmal an der Zubereitung von Meerschweinchen versucht? In den Anden, vor allem in Peru wandern jährlich etwa 22 Millionen von ihnen in den Kochtopf. In der Kathedrale von Cuzco soll es eine ganz hinreißende Darstellung des Abendmahls geben. Sie zeigt einen Jesus, der offenbar kurz davor ist, ein gebratenes Meerschweinchen zu verspeisen. Wer das abstoßend findet, sollte sich Gedanken über kulturellen Relativismus und den Sinn und Unsinn von Nahrungsmitteltabus machen. Auch kleine Schweinchen, Kälbchen oder Zicklein sind kuschelig, darüber hinaus aber in unserer Kultur als außerordentlich schmackhaft geschätzt. Mann kann ja eine Ausnahme machen und die Kinder im Vorfeld mit dem Essen spielen lassen. Zu diesem Thema existiert ein wunderbarer Text des BBC-Fernsehkochs Stefan Gates, aus seinem Buch „Der Gastronaut. Kulinarische Abenteuer für Romantiker, Tollkühne und Unverzagte“. Meine Frau ist der Ansicht, er sei so geschmacklos und so (holzhammer-)mäßig komisch, dass sie schon erwartet habe, dass es meinen Geschmack trifft. Ich habe das in der Kategorie Komplimente abgelegt.

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Ich zitiere: „Das Schlachten heiß geliebter Haustiere ist eine heikle Angelegenheit, ich weiß. Daher möchte ich gleich zu Anfang klarstellen: Irgendetwas müssen wir immer opfern. (…) Dennoch muss man gerechterweise zur Vorsicht mahnen: Bevor wir in den Garten laufen und aufs Geratewohl mit dem Speer herumfuchteln, sollten wir uns vor Augen führen, dass auch Kinder Gefühle haben. Das Ganze wäre eine gute Gelegenheit, sie Blut lecken zu lassen. Man frage sich: Sollte man ihnen diese Chance wirklich vorenthalten?

Andererseits könnten Kinder mit schwachen Nerven über den Verlust eines geliebten Tieres außer Fassung geraten, weshalb ich dringend um etwas Zartgefühl bitten möchte: Zwischen dem Schlachten des Haustieres und dem Servieren im Familienkreis sollte mindestens eine Stunde vergehen. Lautes Jammern bei Tisch ist schlichtweg unerträglich. Mit leisem Dauerschluchzen kann ich mich eher abfinden. Nach dem Essen ist vielleicht der Moment für eine weitere Erziehungsmaßnahme gekommen: Man könnte seinem Nachwuchs beibringen, welches Vergnügen es bereitet, Kummer in Schnaps zu ertränken. Man muss ja nicht gerade den edelsten Tropfen kredenzen – vor Erreichen der Pubertät schmeckt ohnehin alles gleich.“

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen und neugierig geworden ist, dem lasse ich gerne ein Meerschwein-Rezept zukommen. Vorsicht: In einigen Tierhandlungen könne man auf Ressentiments stoßen. Besser man lässt den Verwendungszweck der zu erstehenden Lebensmittel im Dunkeln.

Ich wünsche einen spannenden Herbst und allseits Guten Appetit!

14
Okt
09

Incontro Catering


Wenn ein Unternehmen wächst, dann ändern sich zwangsläufig auch liebgewordene Rituale. Plötzlich waren wir zu Viele. Es funktionierte nicht mehr, dass die Mitarbeiter sich am Abend vor jedem Kollegengeburtstag in die Küche stellten um Köstlichkeiten zu zaubern, die sie am nächsten Morgen zu Ehren des Betroffnen bei einem gemeinsamen Frühstück auftischten. Die Erkenntnis setzte sich durch: Manches gehört besser outgesourct. Ein Caterer musste her. Es folgten einige unglückliche Versuche (zu teuer, zu lieblos, zu wenig, zu servicewüstenorientiert), bevor ich mich an Incontro erinnerte, dem Hauscaterer einer befreundeten PR-Agentur. Vermutlich ist es nicht klug, diese Adresse weiter zu geben, denn auch jetzt schon bekomme ich manches Mal auf meine monatliche Anfrage eine Absage wegen Kapazitätsproblemen und muss auf einen anderen Anbieter ausweichen.

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Unter den Kollegen gibt es zwei Fraktionen. Der einen ist Incontro zu sophisticated. Ihre Vorstellung eines gelungen Frühstücks geht über Hackepeter und Nutella nicht hinaus. Die andere Fraktion liebt Incontro. Vor anderthalb Jahren hatte Incontro eine Phase, in der – nach meinem Geschmack – alles ein wenig zu sehr von Balsamico-Creme und Basilikum-Pesto dominiert war. Haben sie aber überwunden. Ich bestelle zum Frühstück in der Regel Fingerfood. Pro Person zahle ich so 12.- Euro, ohne Getränke, aber mit Lieferung, Aufbau und Abholung des Geschirrs.

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Dafür gibt es zum einen belegte Mini-Panini, z.B. mit…

– Spanischem Serranoschinken auf einer Honig-Dijonsenf-Creme, Honigmelone, gerösteten Mandeln und Kräutern
– Französischem Ziegenkäse, saftigen Feigen und gehackten Pistazien
– Gegrilltem Gemüse auf Petersilien-Erdnußpesto, Parmesan und gerösteten Sonnenblumenkernen
– Hähnchen-Orangensalat mit geröstetem Sesam
– Spanischer Chorizo auf einer pikanten Schafskäse-Paprikapaste, frischen Tomaten, Mozzarella und Kräutern

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…und außerdem beispielsweise, je nach Jahreszeit:

– Mit Paranüssen gefüllte Datteln, mit Bacon umhüllt und im Ofen gebacken
– Mit Himbeersirup karamellisierte frische Feigen auf Schweinefilet im Serranomantel
– Hackfleischbällchen mit Mandeln, Chili, Limettenschale, Datteln und verschiedenen Gewürzen auf einer Paprikacreme
– Spieße von marinierten, gebratenen Garnelen mit einem Dipp aus Avocado, Orange, Koriander und Wasabi
– Herzhafte Zucchinitaler mit magerem Schinkenspeck, Creme fraiche, Muskat und frischem Thymian
– Hähnchenunterschenkelkeulchen pikant-süß mariniert und im Ofen mit frischem Thymian und Honig gebacken
– Crepetütchen mit Basilikumcreme, französischem Ziegenkäse und Orangen gefüllt
– Gebackene Süßkartoffeln mit Schafskäse, Frühlingszwiebeln, Sonnenblumenkernen und frischem Basilikum im Strudelteig
– Griechischer Sahneyoghurt mit Honig und Zitrone auf frischem Ost und gerösteten Mandeln
usw.

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Die Homepage von Incontro ist hoffnungslos veraltet. Die Inhaberin, Barbara Wendorff hat den dort erwähnten Laden schon lange aufgegeben und sich aufs Catering konzentriert.

Obwohl sie ziemlich viel zu tun hat, habe ich noch nie länger als eine halbe Stunde auf ihren Rückruf gewartet nachdem ich auf ihre Mailbox gesprochen hatte.

Incontro Catering
Inhaberin Barbara Wendorff
Heinersdorfer Str. 4-6
13086 Berlin
Tel: 030/ 44357618
Mail: incontro@gmx.de
www.berlincontro.de (veraltet)

26
Aug
09

Bad, bad wine…in der box at the beach


Nach einem kurzen sommerlichen Abendspaziergang durch das Hansaviertel zogen uns auf der Suche nach einem Feierabendwein die bunten Lichter in diese Strandbar. Nach Einbruch der Dunkelheit in einem Liegestuhl an der Spree zu sitzen, sich vom kühlen Wind erfrischen zu lassen, den Lichtern von Schiffen und Flugzeugen nachzusehen, dabei Abwegiges mit der Liebsten zu plaudern…Für einen bescheidenen Menschen wie mich ist das schon ein mächtiges Stück vom Glück dieser Welt. Wahrscheinlich wäre es zuviel des Guten, wäre jetzt auch noch ein Glas trinkbarer Wein erreichbar gewesen. War aber auch nicht. Auf der Tafel hinter dem Tresen stehen ohne nähere Angaben Rotwein und Weißwein zur Wahl. Da erwartet man sicher keine Offenbahrung. Selbst dass er in einem Plastikwasserbecher gereicht wurde, hätte ich akzeptiert. Aber für 4 Euro pro 0,2 l hatte ich doch auf irgendetwas Trinkbares gehofft. Im Nachhinein erscheint mir das übertrieben freundliche Grinsen mit dem mir der Barmann das Getränk überreichte geradezu als zynisch.

Für einen Montag voraussehbar war es ziemlich leer. Das Publikum war eher studentisch als touristisch, was ich zunächst als angenehm empfand, denn Student war ich ja selber Mal und Tourist bin ich natürlich selber nie. Aber Lautstärke und Inhaltsleere der Gespräche, die sich kaum ignorieren ließen, trieben uns dann bald in die Flucht. Die Bestellung eines zweiten Glases hatten wir eh nicht in Erwägung gezogen.

So toll es ist, dass eine ehemalige Stadtbrache dieser Nutzung zugeführt wurde, so unverständlich ist es, dass man es wagt seinen Gästen derartige Getränke zu kredenzen. Mal vorausgesetzt dass das Gros der Gäste im nahen Studentenwohnheim Sigmundhof zuhause ist, tun sich einige Fragen auf? Trinken Studenten heutzutage keinen Wein mehr? Wenn doch, haben sie keine Geschmacksknospen? Und hat man als Wirt nicht irgendwie auch die moralische Pflicht das geschmackliche Empfinden junger Menschen zum Positiven hin zu schulen? Sollten wir uns nicht alle für die alkoholische Sozialisation junger Menschen verantwortlich fühlen?

Adresse: Beach at the Box, Englische Straße 21-23, nähe KPM / S-Bhf Tiergarten, D-10587 Berlin

25
Aug
09

Die Bar zur öffentlichen Bedürfnisanstalt


Hirsebier wird in vielen Teilen Afrikas getrunken. Auch bei den Dagara, die im Nordwesten Ghanas und im angrenzenden Burkina Faso leben.
Save Journey
Dort brauen ausschließlich Frauen das Getränk, häufig für den Hausgebrauch, aber es haben sich auch an einigen Orten Brauerinnen zusammengeschlossen um ihr Bier in Bars auszuschenken. Diese Bars heißen Discos und werden häufig nach markanten Orten in der Nähe benannt. In Hamile, einem ghanaischen Grenzort zu Burkina, gibt es zahlreiche dieser Diskos. Im islamischen Teil wird das Getränk. – es enthält ja immerhin ca. 3% Alkohol – nur in überdachten Räumen angeboten. Das Bier wird in Tonkrügen verschiedener Größe gereicht. Hirsebier ist im Vergleich zu Flaschengetränken preiswert. Meistens wurde ich zu einem Krug eingeladen. Die guten Sitten ließen es nicht zu, dass ich ablehnte und verlangten außerdem dass ich mich mit der Bestellung eines zweiten Kruges revanchierte. Nun bin ich durchaus trinkfest, aber manchmal wurde mir das dann doch zuviel. Nachdem ich diesen Umstand einmal gegenüber dem katholischen Dorfpfarrer erwähnte, wurde er prompt zum Thema seiner nächsten Sonntagspredigt, woraufhin ich nur noch von Nichtkirchgängern eingeladen wurde.

Das Brauen von Hirsebier ist ein aufwendiger Prozess, der sich über mehrere Tage hin zieht. Es muss innerhalb von wenigen Tagen getrunken werden, da es sonst verdirbt.

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Nachdem ein georderter Krug den Gästen gebracht wird, kratzt die Brauerin mit einer Scherbe zunächst die Hefe ab, die sich im oberen Bereich abgesetzt hat. Sie wird für den nächsten Braugang wieder verwendet. Danach füllt sie zunächst eine Kalebassenschale für den Besteller und nimmt selbst den ersten Schluck davon. Ein Sicheres Zeichen dafür, dass das Bier nicht vergiftet ist. Erst dann werden die Schalen der anderen Gäste gefüllt. In meiner Lieblingsdisco kann man angenehm unter einer Veranda sitzen, die Brauerinnen sind immer zu einem Scherz aufgelegt. Etwas anderes als Hirsebier ist nicht im Angebot. Diese Bar befindet sich in der Nähe einer öffentlichen Toilette, die vor vielen Jahren im Rahmen eines Hygiene-Entwicklungsprojektes gebaut wurde. Entsprechend heißt sie auch „Banjirra Disco“, was man mit „Bar zur Bedürfnisanstalt“ oder – wie es mein damaliger ghanaischer Professor tat – derber mit „Scheißhaus-Disco“ übersetzen könnte. Da dass Dach der Toilette in der Sonne Hitze speichert, bevölkern in der Abenddämmerung immer zahlreiche wechselwarme Eidechsen diesen Ort. Da es ja an sich harmlose Tiere sind, ignoriert man sie einfach. Das wollte mir allerdings nicht mehr gelingen als einmal eine Eidechse vom Dach fiel – gerade als ich an diesem Ort einem Bedürfnis nachkam. Sie landete im meinem Hemdkragen und rutschte meinen Rücken herunter. Das arme Tier war genauso erschrocken wie ich. Beide versuchten wir durch veitstanz-ähnliche Bewegungen voneinander loszukommen, was schließlich auch gelang.

Ich denke für solche Fälle ist in den Toiletten-Bewertungs-Kategorien des Bewertungsportals Qype der Punkt „nicht sicher“ vorgesehen.

Adresse: Banjirra Disco, Hamile, nahe dem Ortszentrum, Upper West Region, Ghana

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08
Jun
09

Shanties beim flandrischen König


Am Ende einer Tour durch Augsburg besuche ich in der Regel noch die Buchhandlung Pustet im historischen Bader-Haus, schon allein weil es dort eine so spannende Bavaria-Ecke gibt. Wenn dann noch immer Zeit übrig ist, steige ich noch ein Stockwerk tiefer in den „König von Flandern“. Zwar erst 1988 eröffnet, aber sich auf uralte Traditionen berufend, wirkt der verwinkelte Keller mit insgesamt 250 Sitzplätzen recht gemütlich. Das bayrisch-schwäbische Speisenangebot lasse ich eher an mir vorüberziehen, weil meine Schwiegermutter alle Gerichte besser kocht und eh schon immer mit dem Essen auf mich wartet. Probiert habe ich dennoch ein Mal die Schäufele und ein anderes Mal den Schweinsbraten: einfach, bodenständig, ordentlich. Sicher, en gros zubereitet, möglicherweise unter Einsatz von Soßenpulver. Aber für die bescheidenen Preise ist unmöglich mehr einzufordern. Zu allen Gerichten wird Treberbrot gereicht. Es wird auch zum Mitnehmen angeboten und das sollte man auch tun. Es ist ein Gedicht. Wer weiß, dass Treber nicht nur jugendliche Obdachlose bezeichnet, sondern auch die Reste des Malzes der Bierherstellung, ist auf der richtigen Spur.

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Im „König von Flandern“ wird gebraut: die „Drei-Heller-Biere“, unfiltriert, hell oder dunkel, sowie der Doppelbock Alligator. Biere, die auch einen ausgesprochener Weintrinker untreu werden lassen.

Wenn ich in den „König von Flandern“ gerate, ist eigenartiger Weise immer „Happy Hour“. Das hat den Vorteil, dass das Bier dann sagenhaft preiswert ist. Es hat aber auch den Nachteil, dass um mich herum immer Gruppen von Gymnasiasten oder Erstsemestern sitzen, die sehr laut und sehr dumm sind. Seit ich erfahren habe, es sei jetzt angesagt sich fremd zu schämen, tue ich das dann immer ein wenig. Ich hoffe inbrünstig, dass ich in dem Alter nicht so war. Die Kellnerinnen gehen mit allen Gästen gleichermaßen freundlich, zuvorkommend und professionell um. Vermutlich wirke ich auf sie, ebenso wie auf die mir peinlichen Jugendlichen, wie ein verschrobener, alter Mann. Einzelne schämen sich womöglich für mich.

Einmal hatte ich hier ein bemerkenswertes Erlebnis: Während die Partnerin und ich uns sommernachmittags an einem erfrischenden Bier labten, ertönte plötzlich und unerwartet lauter Gesang. Allein, er wollte sogar nicht in dieses Ambiente passen. Es waren nicht die Biermösel Blosn, nicht Ringswandl und auch nicht Hans Söllner, um mal ein paar der angenehmeren Vertreter bayrischer Volksmusik zu erwähnen. Es war der Shanty-Chor der Nürnberger Wasserschutzpolizei. „Seemann, deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Sterne, über Rio und Shanghai, über Bali und Hawaii….“ ertönte es. Ich muss hier offenbaren, dass ich eine sehr sentimentale Einstellung zur christlichen Seefahrt habe. Es ist nur einer Verkettung unglücklicher Umstände zu verdanken, dass ich meinen jugendlichen Plan, Schule, Schule sein zu lassen und Matrose zu werden, nicht in die Tat umsetzen konnte. Aber diese Geschichte erzähle ich vielleicht ein andermal. Jedenfalls stimmte ich in den Gesang fröhlich mit ein. Das war ja mal ein Crossover: ein ehemaliger Berliner Anarchopunk singt zusammen mit einem fränkischen Polizistenchor in einer bayrisch-schwäbischen Kneipe norddeutsche Seemannsschlager.

Der Partnerin war es peinlich. Sie verbot mir den Gesang. Sie, die Augsburgerin, glaubt nämlich, dass ich mich als in Niedersachsen sozialisierter Wahlberliner in Bayern ohne ihre Verhaltensmaßregeln nicht zurecht finden kann. Es ist immer das gleiche, wenn wir da unten sind. Meiner Schwiegermutter gegenüber sollte ich nicht erwähnen, dass ich glaube, mal gelesen zu haben, dass es bis in die 50er Jahre in Augsburg eine Hundemetzgerei gab. Meinen Verdacht, dass auf dem Stadtmarkt abgezogene Katzen als Kaninchen verkauft werden, sollte ich für mich behalten. Ihrem Ex sollte ich verschweigen, dass wir ihn intern nur Karlsson nennen, weil er auf dem Hochzeitsfoto, das er uns schickte, aussieht wie Karlsson vom Dach. Im Hofbräuhaus sollte ich keinen Wein bestellen. Niemals darf ich in dem lustigen universal-süddeutschen Idiom reden, dass ich selbst kreiert habe…

Natürlich kann ich dann gar nicht anders, wenn man mich so maßregelt. Ich muss es einfach tun. Als mich ihr Ex wegen der Karlssongeschichte unglücklich anschaute, konnte ich wenigstens erwidern, dass sie mich schon gewarnt hätte, er sei nicht so humorvoll und fände das bestimmt nicht witzig.

Adresse: König von Flandern, Karolinenstraße 12, 86150 Augsburg | http://www.koenigvonflandern.de/startseite.html

07
Okt
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Bergkäserei Diepolz


Seit meiner Kindheit, die im tiefsten Niedersachen verortet ist, wurde meine Vorstellung einer heilen Welt von Bildern geprägt, die das Voralpenland hervorbrachte: blumenübersäte Weiden mit glücklichem, brauem Hornvieh, das einen bärtigen, lederbehosten Milchbauern zum besten Freund hatte. Die Werbung von Bärenmarke und Konsorten leistete ganze Arbeit. Diese Welt war ganz anders als das mir bekannte Landleben: Norddeutsches Fleckvieh, das dreckverkrustet manchmal das ganze Jahr im Stall verbrachte, gepeinigt von mürrischen Bauern im blauen Drillich, deren Atem von Frühstückskorn schwer war und die Vieh wie Familie getreu dem Motto behandelten: „Wozu ein Wort verlieren, wenn es auch ein Fußtritt tut?“.

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Als die beste aller möglichen Ehefrauen, süddeutscher Herkunft, mich vor einigen Jahren zum ersten Mal mit ins Allgäu nahm, begegnete mir dort eine Welt, die den Idealvorstellungen meiner Kindheit sehr nahe kam.

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Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass das ganze Allgäu in seiner heutigen Form, die uns als zeitloses, natürliches Gegenstück, nicht nur zu niedersächsischen Dorfwelten, sondern vor allem zu Urbanität und Industrialisierung erscheint, noch gar nicht so alt ist. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Allgäu vom Flachsanbau geprägt. Die Weidewirtschaft brachte erst dann ein gewisser Carl Hirnbein (eignet sich übrigens auch hervorragend als Schimpfwort: „Du Hirnbein, Du!“), der hier noch heute als großer Heilsbringer verehrt wird, weil er die Käseherstellung populär machte. Aber was war die Voraussetzung für Kuhhaltung und Käseherstellung? Es musste die Möglichkeit geben, den Käse schnell und über weite Strecken zu transportieren um so breite Absatzmärkte zu erreichen. Diese Möglichkeit war gegeben, als das Oberallgäuer Immenstadt Anschluss an das Eisenbahnnetz erhielt. Die Industrialisierung mit seinem markantesten Symbol, der Eisenbahn, machte es also erst möglich, dass im Allgäu ihr eigenes Gegenbild entstehen konnte. Tradition und Moderne geben sich die Hand.

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Meiner Schwiegermutter habe ich nicht nur ihre Tochter, sondern auch die Kenntnis von der Bergkäserei Diepolz zu verdanken. Als ich zum ersten Mal den Bergkäse und den Bauernkäse probiert habe, offenbarte sich mir ein Geschmack, den nur eine heile Welt, wie ich sie mir als Kind vorstellte, zustande gebracht haben konnte.

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Rund zwanzig Betriebe mit durchschnittlich fünfzehn Kühen liefern die Milch an die Sennerei. Zur Käseherstellung wird die Milch zuerst mit Lab versetzt, dadurch dickt sie ein. Danach wird sie mit der Käseharfe zum sogenannte “Käsebruch” geschnitten. Ganz wichtig für das Gelingen des Käses ist die Beschaffenheit des “Bruches”. Der Käsebruch wird in runde Formen abgefüllt und gepresst, am nächsten Tag in ein Salzbad getaucht und nach zwei Tagen zum reifen für mindestens drei Monate in den Käsekeller gebracht. Man schmeckt die Kräuter, die sich die Kühe einverleibt haben. Wer so etwas einmal probiert hat, wird nie wieder ohne Not zum abgepackten Fabrikkäse aus dem Supermarkt zurückgreifen können.

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Wer immer in die Nähe von Immenstadt kommt, sollte den Abstecher nach Diepolz wagen und sich mit Käse (auch für Freunde und Verwandte) eindecken. Bergkäse und Emmentaler, vielleicht noch Bauernkäse, wenn man es milder mag, sollte man wählen. Alle anderen Sorten sind unnötige Spielerei.

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Im Laden gibt es auch noch Faßbutter, Milch und handgeschöpften Quark. Alles köstlich. Für Gruppen werden nach Voranmeldung Käsebrotzeiten angerichtet.

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Angeblich haben die Kühe, die ihre Milch für den Käse lassen (ganz traditionell) noch Namen. Aber da Tradition und Moderne bisweilen ja dicht beieinander liegen, kann man den Käse auch im Internet unter der oben genannten Adresse bestellen.

Adresse: Bergkäserei Diepolz, Diepolz 1, 87509 Immenstadt, www.bergkaeserei-diepolz.de/