Geschäftspartner aus diversen asiatischen und europäischen Ländern wollten zum Abendessen ausgeführt werden. Etwas traditionell Berlinerisches sollte es sein. Gar nicht so leicht zu finden, denn wenn irgendwo Alt-Berliner Kneipe dran steht, fühle ich mich zunächstmal abgestoßen. Dann wird meist der alte Zille missbraucht, es mieft nach Berliner Luft, Luft, Luft und die olle Hungerkralle will sich Touristen grapschen, die nicht schnell genug Reißaus nehmen können, die morgen eh wieder weg sind, die nicht wieder kommen brauchen. Täglich schleusen Flieger, Busse und Bahnen neue Opfer in die Hauptstadt.
Das Max & Moritz hebt sich positiv ab. Zwanzig Plätze waren unkompliziert per Telefon reserviert. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass weder EC- noch Kreditkarten akzeptiert werden. Auf meinen Einwand, dass ich ungern mit dicken Geldbündeln in der Tasche durch die Gegend liefe, hieß es, ich solle einfach eine professionell gestaltete Visitenkarte mitbringen, das würde auch reichen, um das Konsumierte per Rechnung zu begleichen. Dass sich jetzt aber niemand auf mich beruft und versucht Ähnliches einzufordern.
Das Kreuzberger Wirtshaus macht nicht bemüht auf traditionell, zahlreiche Details der Innenarchitektur und des Mobiliars lassen die über 100-jährige Geschichte einfach nicht leugnen. Im Jahre 1902 eröffnete Felix Fournier das Wirtshaus am 70. Geburtstag Wilhelm Buschs. Der war mit der Namenswahl einverstanden, stellte aber als Bedingung, dass einmal in der Woche Erbsensuppe an die arme Bevölkerung ausgegeben würde. In den 20er Jahren entwickelte sich das Max & Moritz zum Vergnügungslokal mit 400 Sitzplätzen in zwei Speisesälen, mit Stehbierhalle und Likörtresen. Tatsächlich verkehrten sowohl Heinrich Zille, als auch Paul Lincke – der Komponist der „Berliner Luft“ – hier. Damals wurde das gesamte Haus genutzt. In der zweiten Etage befand sich der Küchentrakt, die dritte Etage war Schlachterei, in der vierten Etage war die Räucherei untergebracht und im Hinterhaus wohnte das Personal. Zum Mittagessen fuhren betuchte Gäste aus dem nahen Zeitungsviertel vor, abends traf sich der Gesangsverein „Typografie“ der Reichsdruckerei, die Arbeiterparteien hielten Versammlungen ab, aber auch die Deutsche Sozialwissenschaftliche Gesellschaft kam hier zusammen.
Michael Kuhlmann, der zusammen mit Chefkoch David Ryan den Laden seit 2006 leitet, erzählt, dass Felix Fournier als Jude zu Beginn der Nazizeit das Wirtshaus einer älteren Stammkundin überschrieb. Die versteckte ihn bis zur Befreiung in einer Gartenlaube, anschließend habe er das Lokal weiter betrieben. Es folgten mehrere Besitzerwechsel. In den 70ern sollten die Räume als Möbellager genutzt werden. Das Mobiliar war schon in den Keller ausgelagert als ein badischer Theologe das Potential der Räume erkannte und das Max & Moritz mit viel Liebe zum Detail wieder her richtete. Der Laden wurde zum Kreuzberger Szenelokal, zeitweise kollektiv geführt. Am 5. Oktober 1978 wurde im großen Saal die Alternative Liste gegründet. Gründungsmitglieder waren u.a. Wolfgang Wieland und Hans-Christian Ströbele. In den 90ern begann die Wohnungsbaugesellschaft Bewoge mit der Totalsanierung des Hauses. Das Lokal musste für mehrere Jahre schließen und wurde erst 2001 von neuen Betreibern wiedereröffnet.
Das Gasthaus ist heute dreigeteilt. Die ehemalige “Stehbierhalle” und das “Likörbuffet mit Brötchenschrank für kalte Speisen” bieten Platz für das eigentliche Restaurant. Im Obergeschoß gibt es einen kleinen Saal mit beeindruckenden Glasmalereien. Es gibt hier eine niedliche Bühne mit Schminkraum, eine Bibliothek und eine kleine Bar. Im hinteren Teil des Erdgeschosses findet man den gerade renovierten Ballsaal. Seine Jugendstil-Oberlichter schaffen ein ganz eigenes Ambiente.
Man bietet traditionelle Berliner Küche, schränkt aber auf der Karte auch gleich ein: „Der Ausdruck `Berliner Küche´ ist eigentlich falsch. Der Ursprungsort der wenigsten`Berliner´ Gerichte ist Berlin. Berlinisch ist die spezielle Art die Dinge zu nehmen, der `Pfiff´, so wie die landlosen Bauern und Handwerker, die aus der Niederlausitz, aus Schlesien und dem Oderbruch am Görlitzer- oder am Schlesischen Bahnhof ankamen, mit der in rasender Eile entstehenden Großstadt fertig werden mußten. Aus ihrer Heimat brachten Sie auch ihre Eßgewohnheiten mit und im Schmelztiegel der Arbeitervorstädte entstand dieses speziell `Berlinische´, dort ist es auch heute noch zu Hause.“ Dass die Berliner Kultur eine der Zugezogenen ist, ist sicherlich wahr, macht die ganze Chose aber etwas beliebig, so dass auch Westfälische Mettenden mit süß-sauren Brechbohnen, Rheinischer Sauerbraten und sogar süßer Flammkuchen mit Äpfeln, Rosinen, Zimt und Calvados, am Tisch flambiert, im Angebot sind. Insgesamt bietet die Karte aber eine überschaubare Anzahl von klassischen, Hausmannkost-Gerichten, ergänzt durch eine den Jahreszeiten angepasste Tageskarte. Man schmeckt, dass frische und hochwertige Zutaten verwendet werden.
Das war allerdings meinen Gästen zunächst reichlich egal. Japaner und Chinesen bestellten sich Schlachteplatten oder Eisbein und zückten beim Servieren ihre Handykameras, denn von solchen barbarischen Fleischbergen waren sie fasziniert. Mein Rindersteak war zwar ein klein wenig länger gebraten als ich geordert hatte, aber immerhin machte mich die Kellnerin darauf aufmerksam und bot mir an, ein neues zu bringen, falls ich es wünschte.
Überhaupt die Kellnerin. Sie beeindruckte nicht nur durch ihr fließendes Englisch, sondern auch dadurch, dass sie sich Getränke- und Speisebestellungen (mit einigen Extras) – scheinbar problemlos – im Kopf merken konnte. Für meinen indischen Tischnachbarn kam das einem Zaubertrick gleich. Auf Nachfrage erfuhr er, dass sie als bildende Künstlerin eben ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen hätte, sich Gesichter merken und außerdem rechnen könne.
Obwohl alle reichlich den fünf Biersorten vom Fass oder der kleinen, aber ordentlichen Weinauswahl zusprachen und ein Teil der Gäste den Abend mit mehreren Runden Jägermeister abschließen zu müssen glaubte, kam eine erstaunlich niedrige Rechnung zusammen, die alles in allem bei nicht mehr als 25 Euro pro Person lag.
Da erlaubte ich mir, als alle auf den Heimweg gebracht waren, noch ein Glas badischen Dornfelder an der Theke zu genießen und beschoss, hier öfter einzukehren.
Adresse: Max und Moritz, Oranienstraße 162, 10999 Berlin |http://www.maxundmoritzberlin.de/
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