Archive for the 'Augenzeuge – Ohrenzeuge' Category

02
Jan
12

Ausgekurbelt: Charlottenburger Traditionskino wird zum Biosupermarkt


Die Leuchtbuchstaben, die bis vor kurzem den Meyerinckplatz allabendlich in rotes Licht tauchten, sind abgeflext, Popcornmaschinen, Kinositze, Lampen und alles andere ist verramscht. Die Kurbel gibt es nicht mehr. Noch existiert die Website des Kinos, aber sie gibt nicht mehr viel her:

Im leeren Schaukasten spiegelt sich die Ankündigung, dass hier nach einem Entwurf des Architekten Christopher von Bothmer der „Umbau von 3 Kinosälen in einem (sic!) Biomarkt und 6 Wohnungen“ erfolgen soll. Jemand hat einen eindeutigen Kommentar hinterlassen.

Gegen die Schließung des Kinos hat sich die Bürgerinitiative „Rettet die Kurbel“ formiert. 7500 Unterschriften wurden gesammelt und fast 4000 Unterstützer wurden auf facebook gewonnen. Die Initiative bestreitet, dass das Kino unrentabel sei. Der Betreiber – und Gebäudeeigentümer – habe notwendige Investitionen unterlassen. Bei der Umwidmung gehe es ihm um Profitmaximierung. Unter den teiweise prominenten Unterstützern finden sich unter anderem Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der Kunstsammler Peter Raue, Wim Wenders, Rosa von Praunheim ebenso wie eine ganze Riege von Schauspielern wie Otto Sander, Angelika Domröse oder Oliver Kalkhofe. Das Medienboard Berlin-Brandenburg schaltet sich ein, das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf fordert den Eigentümer auf, die Schließung auszusetzen und ein „Moratorium“ bis zum Sommer 2012 zu akzeptieren um bis dahin eine tragfähige Lösung zu finden. Angeblich gäbe es mehrere Interessenten, die das Kino weiter betreiben wollten.

Der Biosupermarkt Alnatura will in dem Gebäude ab dem Frühjahr 2013 Müsli und Dinkelstangen verkaufen. Aber man hat offenbar kalte Füße bekommen: „Sofern eine Möglichkeit besteht, den Kinobetrieb weiter zu führen, werden wir dem nicht im Wege stehen,“ verkündet eine Unternehmenssprecherin.

Der Eigentümer Symcha Karolinski denkt allerdings nicht daran, den Vertrag mit Alnatura aufzulösen. Er fühlt sich zu Unrecht kritisiert. Er habe das Kino 2005 übernommen, weil es keiner wollte, in Eigenregie betrieben und zwei Mal vor der Pleite gerettet. Seine Kritiker hätten lieber öfter ins Kino gehen sollen. Neben 16 großen Multiplexkinos hätte die Kurbel keine Chance mehr gehabt. Die drei Interessenten könnten „ nicht die notwendige Bonität aufweisen“. Gegen das Moratorium stünden die Verträge mit den Baufirmen.

Karolinski plant, das marode Gebäude für mehrere Millionen umfassend zu sanieren. Er spricht von einem sechsstelligen Verlust, den er in den vergangenen fünf Jahren mit dem 600-Sitze-Kino gemacht hat und er fühlt sich von der Initiative genötigt und hat Anzeige erstattet.

Die Räume beherbergen auch schon ein Ladengeschäft, bevor der Architekt Karl Schienemann sie zum Kino umbaut. Unter heftigen Anfeindungen des Inhabers der benachbarten Minerva-Lichtspiele Heinrich Hadekel, eröffnen die jüdischen Betreiber Heinz Grabley und Hanna Koenke 1934 die Kurbel. Bereits 1935 erfolgt der Umbau zum ersten „echten“ Tonfilmkino mit einer speziellen akustischen Dämmung. Im Rahmen dieser Modernisierung werden das markante umlaufende Vordach und viele Lichtakzente geschaffen. Die Betreiber wollen vorwiegend ausgewählte internationale Produktionen in der Originalfassung ohne Untertitel und Synchronisation zeigen. Zwei Jahre später übernimmt Walter Jonigkeit, der später zur Berliner Kinolegende werden soll, die Kurbel. Über die Umstände der Übernahme und das weitere Schicksal der jüdischen Kinogründer konnte ich nichts in Erfahrung bringen.

Jonigkeit gelingt es, das Kino bis in den Krieg hinein weiter zu betreiben. Als es nach Bombenabwürfen Feuer fängt, drückt ihm die unterbesetzte Feuerwehr eine Spritze in die Hand, die er abwechselnd mit einem Freund bedient und so das Kino rettet. Erst gegen Ende des Krieges wird die Kurbel zum Munitionslager zweckentfremdet. Nach der Befreiung lässt Jonigkeit die dort vorgefundenen Panzerfäuste zerlegen. Die ausgebauten Feuersteine sind begehrte Tauschware, mit deren Hilfe das Kino instand gesetzt werden kann.

Schon am 27. Mai 1945 nimmt die Kurbel nach dem Marmorhaus als zweites Berliner Kino seinen Betrieb wieder auf. Jonigkeit hat von einem russischen Unteroffizier, der in einem Pankower Tabakladen ein Filmlager verwaltet, den russischen Film „Um sechs Uhr nach Kriegsende“ ergattert. Der Film ist unübersetzt, aber die Zuschauer kommen.

Von Dezember 1953 bis zum April 1956 läuft in der Kurbel „Vom Winde verweht“. In 2395 Vorstellungen sehen rund 6 000 000 Zuschauer den Film. Die Platzanweiserinnen müssen bei täglich drei Vorstellungen halbjährlich in ein anderes Kino versetzt werden. Sie können die Filmdialoge nicht mehr hören und sprechen fast nur noch in Filmzitaten. Der Straßenbahnschaffner – ja, bis 1967 gab es auch in Westberlin Straßenbahnen – ruft die Haltestelle angeblich so aus: „Ku`damm, Ecke Giesebrechtstraße, Vom Winde verweht – aussteigen“. Jonigkeit macht ein Nebengeschäft mit selbstgemachten Programmheften. Abends sammelt er die abgerissenen Kinokarten auf und verteilt sie in der S-Bahn. „Die Kamera – das Haus des guten Films“ steht drauf. Als bei ihm später die „Die Brücke am Kwai“ läuft, besticht er die Tanzkapellen der Stadt, dass sie recht häufig den River-Kwai-Marsch spielen, und ihm so das Publikum ins Haus zu bringen.

Kassenraum und Foyer erfahren in den 50ern durch Verglasung der Eingangskolonnaden eine großzügige Erweiterung. Im Oktober 1957 kommt es zum Skandal als Jonigkeit das Kino an die FDJ vermietet, die zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution den sowjetischen Film „Peter der Große“ zeigen will. Die Polizei befürchtet eine Störung der öffentlichen Ordnung und verbietet die Veranstaltung.

Die rapide sinkenden Besucherzahlen Anfang der 70er Jahre zwingen Jonigkeit zur Aufgabe der Kurbel. Nach einem kurzen Intermezzo als Pornokino eröffnet das Haus 1974 neu als Off-Kino. Wechselnde Betreiber versuchen sich an Programm- und Arthaus-Kino, ab 1995 werden nur noch Filme in der englischen Originalfassung gezeigt. Nachdem 2001 das Cinestar am Potsdamer Platz beginnt OV-Filme anzubieten, zeigt die Kurbel trotz Besucher-Protesten wieder synchronisierte Fassungen. 2003 geht der letzte Betreiber, die Ufa Theater AG, in die Insolvenz und schließt deutschlandweit 33 Kinos – darunter auch die Kurbel. Anfang 2004 versucht sich ein neuer Betreiber mit einem „One Dollar“-Konzept. Man zeigt für 2,99 Euro Filme, die gerade in den großen Häusern ausgelaufen sind und meldet noch im selben Jahr Konkurs an. Ab Februar 2005 nimmt der Hausbesitzer, der das Gebäude 1993 erwarb, den Filmbetrieb in Eigenregie auf und engagiert Moishe Waks als Geschäftsführer. Nach seinem Tod 2009 wird Tom Zielinski sein Nachfolger.

Tom Zielinski war im Dezember mit dem Verkauf von Technik und Inventar der Kurbel beschäftigt. Auch ich bin an einem Verkaufstag vor Ort, bringe es aber nicht übers Herz, etwas mit nach Hause zu nehmen.

„Vom Winde verweht“ ist der letzte Film, der am 21. Dezember in der Kurbel gezeigt wird. Am 2. Januar 2012 soll der Umbau beginnen.

Ehemalige Adresse: Giesebrechtstr. 4, 10629 Berlin

17
Mai
10

Ein Zug will erinnern. Die Bahn will es nicht.


Der „Zug der Erinnerung“ ist wieder in Berlin. Nach den Stationen in Berlin-Grunewald und Spandau steht er nun in Berlin-Schöneweide. Dort hat die Bürgermeisterin von Treptow-Köpenick eine Einladung ausgesprochen. Das Bezirksarchiv beteiligt sich an der Spurensuche nach den Deportierten, das Schulamt wirbt um den Besuch von Jugendlichen. Schöneweide ist die vorletzte Berliner Station. Zum Fahrtabschluss in der Bundeshauptstadt wird der Zug im zentralen Bahnhof Friedrichstraße (Mitte) stehen.

Der „Zug der Erinnerung“ gedenkt der Kinder und Jugendlichen, die während der Nazizeit mit der Deutschen Reichsbahn in Konzentrationslager transportiert wurden. Das staatliche Bahnunternehmen verschleppte etwa 3 Millionen Menschen, darunter eine Million Kinder und Jugendliche. „Wir wollten nicht das Grauen der Deportationen zeigen, die Leichen. Sondern die Hoffnung der Kinder auf Leben“, sagt Hans-Rüdiger Minow, Vorsitzender des Vereins „Zug der Erinnerung“. In knappen Biografien bekommen die Gesichter einen Namen und eine Geschichte. Sie endet beinahe immer tödlich: in Auschwitz, Treblinka, Theresienstadt und anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Nur Wenige haben das Grauen überlebt. Die Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn, die Bundesbahn und nach 1993 Deutsche Bahn sperrt sich gegen Gespräche mit den Überlebenden Auch ein Schreiben ehemaliger Deportierter an Verkehrsminister Ramsauer (CDU) ist seit November letzten Jahres unbeantwortet. Umgerechnet 445 Millionen Euro soll die Reichsbahn bis 1945 mit dem Transport in die Konzentrationslager verdient haben. Geld, das die SS den Deportierten abgenommen und pauschal pro Person und Kilometer an die Bahn weitergereicht habe. Die Deutsche Bahn berechnet dem „Zug der Erinnerung“ rund 1000 Euro für jeden Tag, an dem die Initiative die Gleise nutzt. Er wird behandelt wie irgendein Gütertransport. Schon 2008 hatte die Deutsche Bahn mit Hinweis auf die betrieblichen Abläufe immer wieder die Einfahrt des Zuges an großen Bahnhöfen Berlins verwehrt oder verzögert.

Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass in einem Waggon auch die Geschichte der Täter erzählt wird, die häufig ihre Karrieren nach der Befreiung nahtlos fortsetzen konnten.

Schöneweide: Montag, 17. Mai bis Mittwoch, 19. Mai
jeweils 8:30 Uhr bis 19:00 Uhr
Friedrichstraße, Gleis 2: Donnerstag, 20. Mai bis Freitag, 21. Mai
jeweils 8:30 Uhr bis 19:00 Uhr
http://www.zug-der-erinnerung.eu/

31
Mär
10

Wie ich einmal meinen selbst erteilten Bildungsauftrag am Bahnhof Westhafen erfüllte


Der Berliner U-Bahnhof Westhafen wurde im Jahr 2000 nach Entwürfen der Künstlerinnen Francoise Schein und Barbara Reiter sehr ansprechend umgestaltet. Während die Wände des U-Bahnsteigs die Erklärung der Menschenrechte wiedergeben, geht es im Übergang zur S-Bahn zweisprachig um die Erfahrung, die der Dichter Heinrich Heine während seines Exils in Frankreich machen musste. Genauer um die Schwierigkeiten, die die Franzosen mit der Aussprache seines Namens hatten. Von Monsieur Heinrich Heine über Monsieur Henri Heine, Monsieur Enri Enn, Monsieur Enrienne zu Monsieur Un Rien (= ein Nichts). Die Berliner Verkehrsbetriebe haben wohl eher ein pragmatisches Verhältnis zur Kunst. Einzelne Zeilen sind nicht mehr lesbar, weil man ein Telefon und einen Geldautomaten davor montiert hat. Das ist kundenfreundlich, denkt sich der Herr BVG-Entscheidungsträger. Das ist serviceorientiert, denkt sich der Herr BVG-Entscheidungsträger und dass es einerlei sei, ob damit der ganze Text nicht mehr funktioniere. Wenn ein modernes Unternehmen hobelt, fallen eben Späne, denkt er und dass die Fahrgäste mit diesem Heine eh nichts anzufangen wissen.

Westhafen 1

Gestern trat das vom Herrn BVG-Entscheidungsträger imaginierte Zielpublikum in meine Realität. Drei männliche Jugendliche, leicht alkoholisiert, kurzhaarig, teils mit so komischen Deppencaps verunstaltet, die wohl cool wirken sollen, wenn man sie so klein wählt, dass sie gar nicht auf die Hohlköpfe passen können. „Ey wir sin hier in Doitschland, wieso steht hier kein Doitscher?“ gröhlte es aus einem der Hohlköpfe. Ich befand mich in einer Laune, die mich dazu bemüßigte auf den Schreihals zu reagieren: „Heinrich Heine war Deutscher. Es gibt eben auch Deutsche, die Fremdsprachen beherrschen, wenn auch sicher nicht in Eurem Bekanntenkreis.“ Ja, ich weiß, dass das arrogant, überheblich und vielleicht auch ein bisschen gefährlich war, aber auf die Schnelle fiel mir nichts Besseres ein. Die drei schauten sich verwundert an, schauten mich verwundert an. Man sah, wie ihre kleinen Hirne arbeiteten und eine passende Reaktion auf diese Situation zu finden versuchten. Zuschlagen? Irgendetwas erwidern? Nur was? Schließlich zogen sie wort- und reaktionslos weiter. Bildungsauftrag für heute erfüllt, dachte ich.

Westhafen 2

Jetzt muss ich nur noch irgendwie auf den Herrn BVG-Entscheidungsträger treffen. Dann erfülle ich meinen selbst erteilten Bildungsauftrag auch an ihm.

11
Jan
10

Von Ratten und Schmeißfliegen


Wer eine Ausstellung über „Ratten und Schmeißfliegen“ sehen möchte, hat dazu noch bis Ende Januar in Berlin Gelegenheit. Dabei geht es nicht, wie in den Zitaten von Franz Josef Strauß von 1978 und Edmund Stoiber von 1980, um CSU-kritische Journalisten und Schriftsteller. Es geht auch nicht um Juden, wie in dem NS-Propagandafilm ”Der ewige Jude”, dessen Autor, Eberhard Taubert, Richter am Volksgerichtshof, Referent beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und später dann Berater eben dieses Franz Josef Strauß war.

Der ewige Jude

In der Ausstellung „Berliner – nie allein zu Haus! – (Un)heimliche Tiere in Haus und Garten“ geht es um reales, größeres und kleineres Geziefer. Flöhe, Läuse oder Wanzen, Buchskorpione, Schmeißfliegen, Automarder, Stadtfüchse und Wildschweine, alles was der Berliner sich gerne nach Hause einlädt und was gerne mal beim Berliner zu Hause vorbeischaut, wird hier recht anschaulich dargestellt. Über Ratten erfährt man nicht nur, wie man sie bekämpft, sondern kann sich auch ein Faltblatt über die artgerechte Haltung der Tiere mitnehmen. Wer weiß schon, dass die Hausratte in Berlin seit ca.1930 ausgestorben ist und es die anpassungsfähigeren Wanderratten sind, die uns gelegentlich via Kloschüssel einen Besuch abstatten? Oder dass es in Berlin noch in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Malariaepidemien gab?

Bild4

In einem Hotelparkhaus am Alexanderplatz hat sich ein Waschbär eingerichtet, im Kita-Garten der Tochter tauchte ein junger Fuchs auf, auf den Köpfen der Kinder immer wieder Läuse. Selbst Wildschweine unternehmen ja gelegentlich Ausflüge zum Alexanderplatz. Da ist es nur gut, wenn man sich etwas vertraut gemacht hat mit dem Viehzeug und nicht so dämlich da steht wie ich neulich, als ich im Restaurant Waldhaus an der Havelchaussee ein Stück Wildschweinbraten verspeist hatte. Die Dunkelheit überraschte mich an der Bushaltestelle. Ein beängstigendes Rascheln kam immer näher und als Verursacher war bald eine Wildschweinrotte ausgemacht. „Jetzt rächen sie sich! Jetzt rächen Sie sich!“ waren meine letzten Gedanken bevor endlich der Linienbus eintraf und mich aus meiner misslichen Lage befreite. In der Ausstellung lernt man, dass auch anders miteinander umgegangen werden kann, wie dieses Foto (Quelle: Stadtmuseum Berlin | Berliner – nie allein zu Haus ! | c) Michael Setzpfandt) zeigt:

Mein Lieblingsexponat ist ein Stück Milbenkäse aus Thüringen. Es war mir aber unmöglich davon abzubeißen, da man ihn wohlweislich hinter einer Glasscheibe platziert hat:

Bild 2

Auch berufliche Perspektiven werden aufgezeigt. Wenn gar nichts mehr geht, kann man immer noch ein Insektenhotel aufmachen:

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Wenn man in Berlin doppelt sieht, muss das nicht am übertriebenen Alkoholkonsum liegen. Hervorgerufen durch die Teilung der Stadt gab es zahlreiche Institutionen im Osten und im Westen. Ob Flughäfen, Opernhäuser, Staatsbibliotheken, Planetarien, Funk- bzw. Fernsehtürme: „Was ihr habt, wollen wir auch haben und zwar schöner, höher und pompöser“, lautete die Maxime in beiden Teilen der Stadt. So wurde auch die naturwissenschaftliche Sammlung von einem Förderkreis angelegt, dessen Ziel es war, ein Naturkundemuseum in Westen zu etablieren, als Gegenpart des traditionellen Hauses, das im Ostteil der Stadt lag. Der Vater einer Kollegin, Professor der Paläontologie, war dort Mitglied. Von daher hatte es sich in der Familie etabliert, allerhand totes Getier, das sich so ansammelt, im Kühlschrank aufzubewahren bis man es zum Präparieren einem Museum übereignen konnte. Gab öfter mal Ärger in der WG…

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Seit 1987/88 ist die Sammlung in einem von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte entworfenen Gebäudekomplex in unmittelbarer Nähe des Schloßes Charlottenburg untergebracht. Nach der Wende wurde sie in die Stiftung Stadtmuseum Berlin eingegliedert, und musste sich einen deutlichen Berlinbezug zulegen. So ist beispielsweise ein Forschungs- und Sammlungsschwerpunkt „Bären als Wappentier Berlins“. Von Zeit zu Zeit zeigt man Sonderausstellungen.

Ehemalige Adresse (z.Z. ohne Ausstellungsort):

Naturwissenschaftliche Sammlung
Schloßstr. 69
14059 Berlin
Tel.: 030 3425030
http://www.stadtmuseum.de/index3.php?museum=ns&id=380

23
Sept
09

Was nicht in den Geschichtsbüchern steht: Die 3. Welt im 2. Weltkrieg


Nur noch wenige Tage gibt es die Möglichkeit die Ausstellung „Die dritte Welt im zweiten Weltkrieg“ anzuschauen. Man kann sie mit zahlreichen Ton- und einigen Filmexponaten in den Uferhallen und in abgespeckter Form in der Werkstatt der Kulturen sehen.

Die Ausstellung, konzipiert von dem Verein Africavenir, dem Verein Recherche International und dem Kölner Journalisten Karl Rössel, hatte im Vorfeld für einige Aufregung gesorgt. Offensichtlich hatte sich Philippa Ebéné eine vollkommen andere Ausstellung vorgestellt. Sie wollte „eine Hommage an die gefallenen POCs (People of Colour), die Deutschland vom Faschismus befreiten.“ Warum es in Vorfeld nicht möglich war, sich darüber zu verständigen, dass es sich hier offenbar um zwei gewaltig voneinander abweichende Konzepte handelte, ist kaum nachvollziehbar. Die Motivation Ebénés erschließt sich aus einem Artikel der Jungle World. Hier findet sich auch ein Interview mit Karl Rössel. Die gegenseitigen Unterstellungen und Vorwürfe der Zensur, des Eurozentrismus, Rassismus und Antisemitismus etc.- gerne auch von dritter Seite – waren so absurd wie schädlich. Haben der Ausstellung aber immerhin reichlich Aufmerksamkeit beschert.

Sicher ist die Ausstellung reichlich textlastig, aber sie ist ein Meilenstein. Erstmalig wird hier ein vergessenes Kapitel der Geschichte thematisiert, die Folgen des Zweiten Weltkrieges für Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika. Eine Fülle von Einzelaspekten der verschiednen Regionen, die das Interesse weckt, sich intensiver damit zu beschäftigen, wird präsentiert. Absolut sehenswert!

Mein Beitrag zu Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg – Ich bin Stroheim – auf Qype

08
Sept
09

Peter Eichhorns Berlinbetrachtungen


Es macht mich richtig wütend! Wütend auf mich selbst, dass ich bisher erst eine Stadtführung von Peter Eichhorn besucht habe. „Kleiner Mann was nun? Alt-Moabit am kleinen Tiergarten“ nennt er die Tour, nach dem Buch von Hans Fallada von 1932, das zeitlich in der Weltwirtschaftskrise und räumlich teilweise genau hier spielt (und übrigens vier Mal verfilmt wurde).

„Über Moabit werde ich wohl kaum Neues erfahren“, dachte ich im Vorfeld, denn nirgendwo auf der Welt habe ich länger gelebt als hier. Aber Neese, was der Herr Eichhorn an historischen Fakten und Anekdoten über das Gebiet zwischen Spreebogen und Arminius-Markthalle zum Besten gab, hat mich dann doch beeindruckt. Es ging von den frühen Berliner Unternehmern August Borsig und Carl Bolle bis in die Gegenwart zu Ernst Freiberger, um Tucholsky, Lenin und die Brüder Sass…

Bemerkenswerterweise war nicht nur ich ganz gefesselt, sondern genauso die mitgeschleifte Familie, samt Schwiegermutter, präpubertärer Tochter und der Twen-Nichte der Liebsten, sonst eher beim Shoppen auf dem Ku´damm anzutreffen. Als wir hinter der Arminius-Markthalle zum Ende kamen, hatten alle das Gefühl, man könne jetzt in jede beliebige Richtung beliebig lange weitergehen und der Herr Eichhorn würde einfach fortfahren uns an dem Fundus seiner Berlinkenntnisse teilhaben zu lassen.
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„Metropole des Verbrechens – Berlin auf Gangsterjagd“ und „Auferstanden aus Ruinen – Die Stalinallee“ heißen die Führungen, die mich im Moment am meisten interessieren. Gerade plane ich übrigens zusammen mit Peter Eichhorn unsere Betriebsweihnachtsfeier. Denn seine kulinarische und gastronomische Kompetenz steht seiner historischen in Nichts nach. Das hat er gerade mit seinem Buch (zusammen mit Thomas Götz) „Berlin beißt sich durch“, zum Preis von 14,90 Euro erschienen im Grebennikov Verlag (ISBN 9783 9417 84017), bewiesen. Ein Muss für Berlinbesucher, aber auch Einheimische treffen hier auf alt bekannte Klassiker genauso wie auf neue Ausgehtipps. Das Ganze ist erfrischend gegliedert und mit wundervollen Fotos illustriert.

Alle Stadtführungen unter: http://www.berlinbetrachtungen.de/

 

28
Aug
09

Vergessene Befreier, vorauseilender Gehorsam und Kollaborateure, an die nicht erinnert werden soll


Pünktlich zum Jahrestag des Überfalls auf Polen, also dem Beginn des 2. Weltkrieges, kann man in Berlin die Ausstellung „Die 3. Welt im 2. Weltkrieg“ sehen. Ich persönlich bin zunächstmal allen, die Deutschland vom Hitlerfaschismus befreit haben, sehr dankbar. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welches Leben ich hätte führen müssen, wenn die Nazis nicht bedingungslos hätten kapitulieren müssen.

Bis ich einigen alten Weltkriegveteranen in Ghana begegnet bin, hatte ich mir nie vergegenwärtigt, dass viele der Befreier aus Afrika und Asien kamen. „Die 3. Welt stellte im 2. Weltkrieg mehr Soldaten als Europa und hatte mehr Kriegsopfer zu beklagen als Deutschland“, heißt es in der Ankündigung der Ausstellung. Sie wird von wissenschaftlichen Vorträgen begleitet. Der Historiker Raphael Scheck wird über „Hitlers afrikanische Opfer“ sprechen, Professor Kum’a Ndumbe aus Kamerun über die Kolonialpläne der Nazis und der Schriftsteller Peter Finkelgruen über das jüdische Ghetto von Shanghai.

Die Ausstellung sollte in der „Werkstatt der Kulturen“ in Neukölln gezeigt werden. Dort wird alljährlich der „Karneval der Kulturen“ organisiert und zahlreiche andere spannende Veranstaltungen, die den Horizont über den eigenen kulturellen Tellerrand erweitern.

Doch kurzfristig sagte die Werkstattleiterin Philippa Ebéné ab. Die vom Kölner Journalisten Karl Rössel konzipierte Ausstellung dokumentiert den antifaschistischen Widerstand, aber auch die Kollaboration mit den Nazis, die es in Asien, Afrika und Lateinamerika gegeben hat. Der Streit zwischen Ausstellungsmacher Rössel und Werkstattleiterin Ebéné entspann sich um die Gewichtung, die der Kollaboration in der Ausstellung beigemessen wird. Während Ebéné nach ihrer Darstellung eine Ausstellung haben wollte, die den Kampf Nichtweißer gegen den Nationalsozialismus würdigt, wollte Rössel auf die Darstellung der Kollaborateure nicht verzichten. Konkret ging es wohl um zwei von 96 Tafeln. Eine befasst sich unter der Überschrift „Palästinenserführer und Kriegsverbrecher“ mit der Rolle von Hadsch Amin al Husseini, dem obersten Repräsentanten Palästinas, Mufti von Jerusalem. Bereits 1937 hatte er dazu aufgerufen, muslimische Länder „judenfrei“ zu machen. Von 1941 bis 1945 lebte er in Berlin, pflegte freundschaftlichen Umgang mit Hitler und gründete eine muslimisch-bosnische SS-Division. Eine zweite Tafel benennt die „Sympathisanten der Faschisten im Nahen Osten“, etwa Ägyptens König Faruk. Es gibt übrigens auch eine dritte Tafel, die „Arabische Retter“ würdigt, die Juden vor dem Tod bewahrten.

Diverse Vermittlungsversuche haben nicht gefruchtet. Die Ausstellung wird jetzt im Wedding gezeigt.

Warum dürfen arabische NS-Kollaborateure und Kriegsverbrecher in der „Werkstatt der Kulturen“ nicht beim Namen genannt werden? Ebéné ist keine Antisemitin. Im letzten Jahr hat sie auf einen jüdischen Redner bei der jährlichen arabischen Kulturwoche bestanden. Daraufhin sagten die Veranstalter, Berliner arabische Vereine, die komplette Veranstaltung ab. Vielleicht war es diese Erfahrung, die sie jetzt motivierte? Letztendlich drängt sich der Eindruck auf, hier wurde in vorauseilendem Gehorsam Rücksicht auf die arabische Community genommen, mit der es sich die „Werkstatt der Kulturen“ nicht verderben wollte. Das erscheint feige und bevormundend. Wenn Teile des Klientels der Werkstatt Probleme mit der auszustellenden Darstellung gehabt hätten, wäre es ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für einen interkulturellen Dialog gewesen. Im Übrigen gibt es auch Araber, die sich kritisch mit arabischer Geschichte auseinandersetzen. Die sind offenbar der „Werkstatt der Kulturen“ egal. Nazi-Kollaborateure hat es überall auf der Welt gegeben. Mittlerweile ist es auch kein historisches Tabu mehr, sich sogar mit jüdischen Kollaborateuren – welche Beweggründe sie auch immer gehabt haben mögen – zu beschäftigen. Die „Werkstatt der Kultutren“ hat einer offenen Auseinandersetzung zwischen den Kulturen einen Bärendienst erwiesen.

Mehr über die Ausstellung unter: www.3www2.de und www.africavenir.org.

Die Ausstellung mit einem umfangreichen Begleitprogramm findet vom 1. – 20. September 2009 in den Uferhallen, Uferstr. 8 – 11, 13357 Berlin Wedding statt

13
Mai
09

Cannes kann nicht Alles sein!


Die Eröffnung des Jugendmedienfestivals REC in der Weißen Rose in Schöneberg hat Lust auf mehr gemacht. Wer immer ein Quäntchen Zeit bis Sonntag erübrigen kann, sollte prüfen, ob er die vielleicht nutzen kann, um wenigstens ein paar Filme der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu sehen, die auf dem Programm stehen. Im Idealfall kommt man ins Gespräch mit den Filmemachern aus Korea, Irland, Ungarn oder sonst wo her. Kontakt zu jungen Menschen hält jung. Eine wunderbare Atmosphäre, die man hier erlebt. Hingehen! Ansehen! Wer diese Kleinod verpennt, wird sich später fragen lassen müssen, wofür er sich überhaupt in der ersten Dekade diese Jahrtausends interessiert hat!

Mein Beitrag zu Jugendmedienfestival Berlin – Ich bin Stroheim – auf Qype

12
Dez
08

Verbrechen und Strafe


Im Rahmen der Spielzeit´europa zeigen die Berliner Festspiele als Deutschlandpremiere Dostojewskis Klassiker „Schuld und Sühne“ in der Fassung von Andrea Breth. Da die gezeigte Produktion der Salzburger Festspiele auf der Neuübersetzung Swetlana Geiers von 1994 basiert, heißt es jetzt „Verbrechen und Strafe“.

Ein fünfstündiges Theaterstück – inklusive zweier halbstündiger Pausen – ängstigte mich im Vorfeld etwas. Doch die fünf Stunden haben sich gelohnt, das Stück hat zwar eine ordentliche Länge aber keine Längen. Die erste Hälfte des Stückes wo teilweise Gedachtes, Geträumtes, Geschriebenes und Reales in kurzen clipartigen Szenen, die getrennt durch grelle, das Publikum blendende Schweinwerfer, gezeigt werden, erschließt sich wohl kaum, ohne Kenntnis der Romanvorlage. Nach der ersten Pause wird es konventioneller, nahezu klassisch und immer sehr dicht am Text Dostojewskis.

Der Langzeit-Jurastudent Raskolnikov, der sich mit dem Mord an einer Pfandleiherin von der armseligen Masse abheben will, aber sich damit in tiefe Verwirrung und Einsamkeit stürzt, wird von Jens Harzer in einer schnoddrig-nöhlenden Art verkörpert, die man nicht so schnell vergisst. Nicht weniger beeindruckend Sven-Eric Bechtolf als morallos-dekadenter Gutsbesitzer, Udo Samel als väterlicher Untersuchungsrichter, Marie Burchard als Dunja, Raskolnikovs Schwester und Wolfgang Michael als ihr schmierig-verklausulierter Verlobter.

Die Regisseurin Andrea Breth, von 92 bis 97 künstlerische Leiterin der Berliner Schaubühne, hatte die beauftragte Bühnenfassung des bulgarisch-österreichischen Autors Dimitré Dinev verworfen und eine eigene geschrieben. Sie stellt den Ekel an der Welt des jungen Raskolikovs in den Mittelpunkt, die spätere Läuterung in einem sibirischen Straflager, bleibt außen vor.

Die mystisch-düsteren Bühnenbilder von Erich Wonder wirkten teilweise grottenartig, ausweglos, teilsweise als zögen sie sich bis zum Horizont, ohne Begrenzung. Sie erinnern an Alfred Kubins Dostojewski-Illustrationen. Sehr beeindruckend – zumindest von meinem billigen Platz in einer der hinteren Reihen auf dem Rang.

Die "dunkle Dramatisierung von Dostojewskis Roman durch Regisseurin Andrea Breth" sei "nur für Ignoranten zu langsam", urteilt Norbert Mayer in der Wiener Presse, sie sei "in ihrer psychologischen Raffinesse packend bis zum Schluss, fast wie das Original.“ Da schließe ich mich an.

Mit der Uraufführung des Stückes wurden im Juli 2008 die Salzburger Festspiele eröffnet. Dort wird es auch im Sommer 2009 wieder zu sehen sein. In Berlin läuft es noch am 12. und 13. Dezember 2008.

Mein Beitrag zu Verbrechen und Strafe – Ich bin Stroheim – auf Qype

09
Dez
08

Markt der Kontinente


Es ist schon ein Weihnachtsmarkt der etwas anderen Art. Wer auf Edel-Ethno-Kitsch steht, kommt hier sicherlich auf seine Kosten. Wer seinen Weihnachtsbaum dieses Jahr mal ganz anders behängen will, wird auch fündig. Zwischen Gewirktem, Gedrechseltem, Gewebtem, Geschöpftem, Geschnitztem, Geblasenem, Gebatiktem, Geflochtenem, Geschmiedetem, Gemanschtem, Gepanschtem und Gefrickeltem gab es allerdings auch einige Kunstwerke und Antiquitäten, die dann allerdings auch ihren Preis hatten. Meine persönlichen Favoriten waren Wunderseifen aus Mexiko (siehe Foto), die dem Anwender den Angebeteten oder einfach viel Geld bringen sollen. Bei nur 2,50 Euro pro Stück wäre das ja eine sinnvolle Investition. Auf Nachfrage gab die Verkäuferin aber zu, dass sie sie leider noch nicht ausprobiert hätte und deshalb keine Aussage über die Zuverlässigkeit dieses Produktes treffen könne. Toll fand ich auch eine Schreibtischlampe, gefertigt aus Altblech (siehe anderes Foto). Zahlreiche Nord-Süd-Vereine waren präsent und versuchten u.a. über schädliche Kinderarbeit aufzuklären. Es sollte mich wundern, wenn viele der daneben angebotenen Waren, gerade im Billigbereich, nicht von klitzekleinen Kinderhänden gefertigt gewesen sein sollten.

Wunderseife

Lampe

Unsere Kinder durften asiatische Stockpuppen bauen und waren ganz stolz darauf, von Radio Multikulti interviewt worden zu sein, noch kurz bevor der Sender abgewickelt werden wird. Die Erwachsenen besuchten die Führung „Nächtliche Zweisamkeit – Paardarstellungen in der Asiatischen Kunst“. Das versammelte Bildungsbürgertum lechzte. Aber das Gebotene war dann sehr unerotisch und didaktisch und rhetorisch wenig mitreißend. Das Musikprogramm war interessant, sofern man asiatischer Musik etwas abgewinnen kann.

Panorama

Bühne

Erwachsene, die den Markt besuchen, zahlen den regulären Museumseintritt von 6 Euro, dürfen dann aber auch alle drei Museen am Ort ansehen und die Bastelworkshops für die Kinder sind umsonst. Solche Veranstaltungen sind ein legitimer Versuch die Massen in die Dahlemer Museen zu locken. Die üblichen Besucherzahlen werden nämlich dem, was es hier zu entdecken gibt, kaum gerecht. Nachhaltiger Erfolg wird sich aber erst einstellen, wenn die Konzepte der ständigen Ausstellungen spannender werden.

Wolf

Frosch

Flötenspieler

Wir waren beim Asienwochenende. Am 13. und 14. Dezember ist dann noch Amerika dran.

Info: In der Regel an den vier Wochenenden vor Weihnachten | Ort: Ethnologisches Museum, Lansstraße 8, 14195 Berlin