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28
Sept
09

Kinder erschrecken mit Ritter Kahlbutz


Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Kinder Deine Geschichten nicht mehr gruselig finden und überhaupt übertrieben aufmüpfig werden. Möglicherweise kann sie dann ein Besuch bei der mumifizierten Leiche des Ritters Kahlbutz vorübergehend zur Räson bringen. Dazu begibt man sich in das havelländische Dorf Kampehl, knapp 100 Kilometer von Berlin und gut fünf von Kyritz an der Knatter entfernt.

kampehl_kirche

Man muss sich vor dem Eingang zur Gruft der kleinen rechteckigen, aus Feldsteinen errichteten Wehrkirche von Kampehl gedulden, bis die vorherigen Besucher ihren ca. zwanzigminütigen Besuch beendet haben. Dann darf man selber in die Gruft treten, die gerade mal Raum für ein Dutzend Personen bietet. Ein Dorfbewohner hält dann einen recht launigen Vortrag und beantwortet die wohl immergleichen Fragen der Besucher.

Ein rissiger Sargdeckel, eine mittelalterliche Turnierlanze, ein paar geschmiedete Helme und ein kleiner Verkaufstisch im Broschüren und Postkarten lenken kaum vom dunklen Holzsarg mit gläsernem Deckel ab. Auf weißem Stoff drapiert liegt hier die Mumie, die Hände gefaltet, den Schoß mit einem Tuch bedeckt, eigenartig, gelbledrig eingeschrumpelt aber eben für eine dreihundert Jahre alte Leiche in einem erstaunlich frischen Zustand.

Kahlbutz2

Im 16. Jahrhundert wurde die Familie Kalebuz erstmals als Besitzer des Rittergutes von Kampehl erwähnt. Bis 1783 behielt sie den Besitz, dann starb ihr letzter männlicher Spross. Mit Gottliebe Sophie von Kalebuz, Stiftsfräulein in Heiligengrabe, verstarb auch der letzte weibliche Vertreter im Jahre 1795 – zumindest was die offiziellen Nachkommen angeht. Die Familie Kröcher auf Lohm erwarb das Rittergut. Bereits nach wenigen Jahren wurde der Besitz aber schon an den Königlichen Stallmeister Krell verkauft. Der fühlte sich der Gemeinde verpflichtet und ließ 1794 die Dorfkirche renovieren. Um das ursprüngliche Aussehen der Kirche wieder herzustellen, sollte die nachträglich errichtete Grabkapelle, die Begräbnisstätte derer von Kalebuz, abgetragen und ihre Särge erdbestattet werden. Beim öffnen der Särge stellte man erstaunt fest, dass eine der Leichen unverwest ist. Man erinnerte sich an die Geschichte des Christian Friedrich von Kalebuz.

Der lebte von 1651 bis 1702 und war damit ein Zeitgenosse des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. An seiner Seite kämpfte Christian Friedrich in der Schlacht von Hakenberg gegen die Schweden und erlitt eine Verwundung, deren Narbe am linken Knie an der Mumie zu erkennen ist. Der Ritter hatte 11 eheliche Kinder. Es werden ihm aber über 30 weitere außereheliche nachgesagt. Angeblich soll der Ritter gern auf das „Recht der ersten Nacht“ bestanden haben. 1690 fand in Dreetz bei Neustadt/Dosse ein Prozess gegen Christian Friedrich von Kalebuz statt. Er sollte den Schäfter Pickert erschlagen haben. Das behauptete jedenfalls die Braut des Erschlagenen, Maria Leppin. Da es keine Zeugen und Beweise für die Tat gab, wurde der Angeklagte nach einem „Reinigungseid“ freigesprochen.

Es gab eine Reihe von Anzeichen, dass es sich bei der mumifizierten Leiche um Christian Friedrich handelte. Bald entstand die Sage, dass der Ritter den Schäfer erschlagen habe, weil seine Verlobte dem Gutsherren die „erste Nacht“ verweigert hätte. Das sein Reinigungseid den Zusatz enthielt, falls er doch der Mörder gewesen wäre, möge seine Leiche niemals verwesen, kam auf. Die Sage fand schließlich 1881 Eingang in die schriftlichen Aufzeichnungen des Küsters und Lehrers Leopold Schaumann aus Wusterhausen an der Dosse.

Im Laufe der Zeit mussten die (un)sterblichen Überreste des Ritters einiges über sich ergehen lassen. So sollen sie einmal uniformiert als Wache in ein Schilderhaus aufgestellt oder auch schon mal einem Brautpaar ins Hochzeitsbett gelegt worden sein. Die Dorfjugend drapierte die Mumie auf der Friedhofsmauer und auf dem Dach des Schulhauses. Einige Jahre soll sie sogar im Wartezimmer einer Arztpraxis in Neustadt aufgestellt gewesen sein. Aus einem entwendeten Stiefel sollen Leipziger Studenten ihren gemeinschaftlichen Trunk genommen haben, ehe er reumütig zurück geschickt wurde. Natürlich verkündet die mündliche Überlieferung, dass solcher Schabernack immer auf schreckliche, übernatürliche Weise bestraft wurde.

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Von 1794 bis 1945 wurde die Mumie unter der Obhut der Kirche der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bereits anlässlich der nationalsozialistischen Olympiade 1936 besuchten Tausende die Kampehler Dorfkirche und es sollen von japanischen und amerikanischen Geschäftsleuten bedeutende Summen für den Erwerb geboten worden sein. Während der DDR-Zeit eignete sich die Stadt Neustadt die Mumie an, Proteste der Kirche ignorierend. 1989 versuchte eine Gruppe um den damaligen Neusdtädter Bürgermeister Bublitz sich die Mumie endgültig zu Eigen zu machen. Angeblich wollte man vermeiden, dass die Kirche den Ritter erdbestattet und damit eine einträgliche Sehenswürdigkeit beseitigt. Heimlich wurde das ehemalige Spritzenhaus für einen Informationsraum rekonstruiert. Ein Traktor und einige verpflichtete ABM-Kräfte standen bereit um die Mumie umzulagern. Einzelne Stadtverordnete und engagierte Bürger verhinderten die Umbettung und es kam letztendlich zu einem gerichtlichen Vergleich zwischen Stadt und Kirche, der besagte, die Mumie in der Kirche zu lassen, aber zu gewährleisten, dass sie für die Öffentlichkeit zugänglich bliebe.

Die Geschichte des Ritters von Kahlbutz wird in dem 1998 gedrehten Jugendfilm „Spuk aus der Gruft“ mit Matthias Schweighöfer und Kurt Böwe aufgegriffen.

Zahlreiche Ärzte – darunter Rudolf Virchow und Ferdinand Sauerbruch – haben versucht dem Rätsel der Mumifizierung wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, eine eindeutige Erklärung konnten sie bis heute nicht liefern. Aber zum Kindererschrecken taugt die Mumie auf alle Fälle.

Adresse: Dorfkirche, Ortsteil Kampehl , 16845 Neustadt